Besondere Mitarbeiter

Im Lauf der Jahre habe ich viele Mitarbeiter aus unterschiedlichen Berufen kennengelernt. Viele von ihnen sind sehr engagiert und gestalten mit ihren Fähigkeiten den Alltag in der Wohngruppe. Eine, die vor einigen Monaten in Rente gegangen ist und die ich sehr vermisse ist Margit. Gelernt und gearbeitet hatte sie in der Datenverarbeitung, aber der Betrieb wurde nach der Wende abgewickelt. Als in ihrer Nähe Mamas Heim gebaut wurde, hat sie sich dort als Mitarbeiterin in der Hauswirtschaft beworben. In der Wohngruppe ist sie für alles rund um die Nahrungszubereitung, was nicht in der zentralen Küche gemacht wird, zuständig. Dazu gehören auch besondere Essenswünsche oder Vorlieben, aber auch daß mehrmals in der Woche in der Wohngruppe Kuchen gebacken wird. Auch Hilfestellungen beim Essen, Sauberkeit der Zimmer – abgesehen von der Grobreinigung – , Kennzeichnen der Wäsche und Anregung der Bewohnerinnen gehören zu ihren Zuständigkeiten. Margit war ein besonderer Glücksfall wegen ihrer überragenden kommunikativen Fähigkeiten. Wenn Mama gar nicht mehr essen wolte, dann war es Margit, die es dann doch irgendwie schaffte, daß Mama etwas aß. Sie hatte eine besondere Gabe auf die dementiell veränderten Menschen einzugehen. Ein besonderes Erlebnis verbinde ich mit ihr.

Manchmal werden in Mamas Heim auch Menschen vorübergehend aufgenommen, deren Angehörige eine Auszeit brauchen. So wurde Herr Vogel für einige Wochen Mamas Mitbewohner. Die beiden verstanden sich prächtig, unterhielten sich gut und hatten Vorlieben für die gleiche Fernsehsendungen. Herr Vogel war schon einige Wochen da, sodaß ich dachte, er sei dauerhaft im Heim, denn normalerweise ist die „Verhinderungspflege“, die Angehörige in Anspruch nehmen können, auf drei Wochen im Jahr begrenzt.

Ich besuchte Mama an einem späten Vormittag. Sie hatte lange geschlafen und ich fuhr mit ihr ins Gruppenwohnzimmer zu ihrem Platz zum Frühstücken. Herr Vogel saß schon am gemeinsamen Tisch der beiden. Er freute sich sichtbar über Mamas Kommen. Als wir uns gesetzt hatten schmetterte er ihr ein fröhliches „Guten Morgen – hast Du gut geschlafen? Wie geht es Dir denn heute?“ entgegen. Mama drehte sich zu mir und meinte: „Mausi, was will denn der Herr von uns? Ich kenne den nicht. Warum dutzt der mich denn?“ Herrn Vogels Gesichtszüge entgleisten. Er war fassungslos: „Das kann doch nicht sein, daß Du mich nicht kennst. Seit Wochen sitzen wir hier zusammen, essen miteinander, unterhalten uns und und schauen miteinander fern. Ich glaube, Du brauchst eine Brille“ meinte er aufgeregt.

In meinem Kopf war gähnende Leere – eine Art Blackout. Ich wußte nicht, wie ich reagieren sollte. Wenn ich Mama zustimme, dann werde ich Herrn Vogel nicht gerecht. Wenn ich aber sage: „Das ist doch der Herr Vogel. Mit dem hast du dich schon öfter unterhalten“, dann fühlt sie sich nicht verstanden und vielleicht sogar beschämt. Ich hatte das Gefühl, egal, was ich mache oder wie ich reagiere, ich kann es nur falsch machen, denn beide haben ihre für sie jeweils subjektive Realität, und die paßt nicht zusammen.

Plötzlich steht Margit neben den beiden mit der Kaffeekanne in der Hand und fragt Mama ob sie Kaffee mag. Mama nickt und bekommt ihre Tasse Kaffee. Dann spricht sie mit breitem Lächeln Herrn Vogel an: „Herr Vogel, für Sie auch noch Kaffee?“ Er nickt und bekommt auch noch eine Tasse Kaffee, dann sagt Margit indem sie sich an beide wendet: „Na, det is doch schön, wenn ihr zwei beide Euch jeden Morgen neu kennenlernen könnt“. Herr Vogel antwortet: „Ja, det stimmt“. Und auch Mama nickt zustimmend.

10 Gedanken zu „Besondere Mitarbeiter

  1. Die Geschichte hat mich sehr berührt. Meine Mutter hat auch Alzheimer und lebt in einer WG. Es sind diese besonderen Menschen, die uns über Stolperstufen helfen und uns für die kommenden Tage lehren mit manchen Situationen umzugehen.
    Liebe Grüße schickt
    Ines,
    die hier gern liest … es fühlt sich so gleich an.

  2. Hallooo! Es ist immer wieder interessant, andere Sichtweisen und Standpunkte lesen und bedenken zu können. Ich bin neu hier bei WP und stamme aus dem fast verglühenden Windows Live. Am Anfang habe ich mich gesträubt, meinen Blog nach WP legen zu lassen, heute bin ich froh darüber, denn genau hier finde ich Menschen, welche gleiche Themen wie ich Gegenstand eines Blogs machen. Ich werde wiederkommen und bestelle schon jetzt mal dein ABO. LG, Mandy

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