Omas neue Polin …

heißt eine halbstündige Dokumentation, die heute 19. November 2011 um 18.02 im rbb gezeigt wird. Im Ankündigungstext zur Sendung heißt es:

Omas neue Polin (Bild zur Dokumentation)

Für Gisela M. stand immer fest: Sie schickt ihre Mutter nicht ins Altersheim. Als es soweit gewesen wäre, gab sie ihre Arbeit als Berufsschullehrerin auf und übernahm die Pflege selbst. Nach zweieinhalb Jahren aber musste sie passen.

In ihrem persönlichen Leben stimmte nichts mehr. Ihre Gesundheit hatte gelitten und ihren Ehemann sah sie kaum noch. Deshalb engagiert Gisela M. für ihre Mutter, die pflegebedürftige, inzwischen 92-jährige Erna Z., eine Betreuerin aus Polen. Für zwei Monate kommt Greta S. nach Caputh (Brandenburg), um in dem kleinen Häuschen der alten Dame im gleichen Raum mit ihr zu schlafen, rund um die Uhr an ihrer Seite zu sein. Bringt die junge, unbekümmerte Polin die erhoffte Entlastung für das Ehepaar M.? Und wie geht es der Oma damit, dass nicht mehr ihre Tochter, sondern eine Fremde bei ihr ist? Wie kommt Greta mit den Erwartungen der Familie zurecht? Der Film zeigt acht Wochen voller Höhen und Tiefen. Dokumentation von Petra Cyrus

Also, lassen Sie mich wiederholen, was ich verstanden habe:

Gisela M. ist mit 60 Jahren als ihre Mutter pflegebedürftig wurde, in den Vorruhestand gegangen. Nach etwas mehr als 2 1/2 Jahren hat die Pflege sie an den Rand ihrer Kräfte gebracht. Ihren Ehemann sieht sie kaum noch. Und nun kommt über eine Agentur Greta für zwei Monate.

Greta, die 28jährige Pflegerin aus Polen, spricht gut deutsch, denn sie hat in Nürnberg Abitur gemacht. Das ist MEHR als man von einer Haushaltshilfe erwarten kann. Es ist auch nicht die erste Familie, in der sie tätig wird, und bevor sie überhaupt in Familien mit alten Menschen arbeitet, hat sie ein halbes Jahr lang ihre alzheimerkranke Oma in einem Dorf in Niederschlesien betreut. Das tut jetzt Gretas Mutter im Wechsel mit Gretas Tante. Greta erhält 1000 Euro im Monat. Dafür ist sie für die Betreuung der Oma und deren Haushalt zuständig. Die Oma wohnt in einem kleinen Häuschen. Auf dem gleichen Grundstück befindet sich ein größeres Haus, in dem Tochter und Schwiegersohn wohnen. Das Ganze läuft über eine Agentur, ist also legal. Dass Greta faktisch mehr als eine „Haushaltshilfe“ ist, lassen wir mal außen vor. Sie schläft mit der Oma im Zimmer, und wenn die Oma nachts raus muß, dann Greta auch. Das kann einmal sein. Das kann siebenmal sein. Greta jedenfalls muß in Bereitschaft sein. 2 bis 3 Stunden täglich hat Greta Freizeit. In den zwei Monaten, die Greta da ist, sind das 1281 Stunden (ein Monat zu 30 einer zu 31 Tagen gerechnet und 21 Stunden Anwesenheit). Das läuft dann auf 1,56 € pro Stunde raus. Ein Aupair darf in Deutschland 30 Wochenstunden eingesetzt werden und bekommt 260 Euro Taschengeld, Sprachkurs und Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr.

Für Familie M. kostet Gretas Einsatz 1900 Euro im Monat sowie freie Kost und Unterkunft. Das geht nur, weil auf die Ersparisse der Oma zurückgegriffen wird. Die 1000 Euro für Greta liegen im Mittelfeld (800 bis 1200 Euro ist das Spektrum). Ich habe die Sendung mit sehr gemischten Gefühlen gesehen: Die junge Polin, die sehr frisch und einfühlam mit der pflegebedürftigen Frau umgegangen ist. Die Tochter, selbst schon in Rente, die genaue Vorgaben machte und der jungen Pflegerin zum Vorwurf machte, daß sie freundlich ihre Arbeit tut, aber nicht mehr. Kann man jemanden vorwerfen, daß er keine familiäre Bindung aufbaut?

Greta hat mich in ihrer Art sehr an die jungen Frauen erinnert, die ich in den letzten Jahren getroffen habe, weil sie in Mamas Heim als Pflegehelferinnen ausgebildet wurden. Und wie muß das sein, so einer Familie ausgeliefert zu sein. Im Gespräch mit der Dokumentarfilmerin wurde deutlich, daß Greta den Job nicht schmeißen kann, wenn er ihr nicht gefällt, denn dann bekommt sie eine Vertragsstrafe. Krankheit wäre ein Grund zum Aussteigen. Und daß von Greta erwartet wird, daß sie bei der pflegebedürftigen Frau im Zimmer schlafen wird / muß, das hat sie erst bei der Ankunft erfahren. Macht ihr nichts aus, sagt sie. Was soll sie unter diesen Bedingungen auch sagen? Und an wen kann Greta sich wenden außerhalb der Familie? Welche sozialen Kontakte gibt es für sie? Einmal fährt sie nach Potsdam. Da wird sie sich vermutlich auch jeden Milchkaffee für 2,80 Euro überlegen. Weil jeden Euro, den sie ausgibt, den bringt sie nicht nach Hause.

Vor dem gemeinsamen Essen wird gebetet. Da sind von einer polnischen Pflegerin im allgemeinen keine Schwierigkeiten zu erwarten. Aber auch das wäre – meiner Ansicht nach ein Punkt, der vorher mitgeteilt werden sollte, damit die Helferin sich darauf einstellen kann.

Und für mich wurden die Verhältnisse nicht klar: Gehört das Grundstück der Oma und Tochter und Schwiegersohn leben auch da?

Ich kann mir nicht helfen: Für mich ist das Ausbeutung und eine moderne Form der Sklaverei.

Ich kenne die Familie M. nicht, aber mir scheint es bei diesen Arrangements ganz häufig so zu sein, daß es um das Thema geht: Unser Erbe muß erhalten bleiben. Mutters / Vaters Haus darf nicht verkauft werden für die Pflegeaufwendungen. Das ist ein Thema der (gehobenen) Mittelschicht. Und da auch die Journalisten, Redakteure etc., die diese Themen in den Medien gelegentlich angehen, dieser Schicht angehören und irgendwann vor dieser Frage stehen werden, wird das weiterhin Tabu bleiben.

Wiederholung:
Donnerstag 12. Jan. 2012 um 22:25 im mdr

10 Gedanken zu „Omas neue Polin …

  1. Ich kriege rbb leider nicht, hoffe, es wird auf den Dritten vielleicht nochmal gezeigt werden.

    Ich will nur einen Punkt Ihrer Anmerkung herausgreifen, der mich beruflich sehr oft beschäftigt:

    Es scheint „häufig so zu sein, daß es um das Thema geht: Unser Erbe muß erhalten bleiben. Mutters / Vaters Haus darf nicht verkauft werden für die Pflegeaufwendungen.“

    Ich bin immer wieder verblüfft, mit welcher Selbstverständlichkeit Angehörige davon ausgehen, dass „der Oma ihr klein Häuschen“ irgendwann ihnen gehört. Diese ganzen steuerlichen Gestaltungen der vergangenen 20 und mehr Jahre mit Übergabeverträgen, aber dem Behalten von Nießbrauchsrechten oder Wohnrechten hat zu so einer Denke geführt, die das Fell des Bären verteilt, der noch lebt und das Fell noch braucht, vielleicht auch verbraucht.

    Ja, Pflege kostet Geld und oftmals mehr als regelmäßig monatlch über die Rente eingeht. Leider kümmert man sich in der Regel darum nicht selbst, deutlich bevor der Notfall da ist und dann kann es leider auch das Häuschen kosten.

  2. Ach – ich lese erst jetzt den erweiterten Artikel!

    Ja, das war eindeutig Sklaverei! Nichts anderes!

    Und ja, ich gebe auch dem Kommentar hier drüber vollkommen Recht: Es scheint immer darum zu gehen, das „Erbe“ zu retten.
    Ich wundere mich nur immer, wieso es bei diesen finanziellen Überlegungen nicht auch den Gedankengang gibt, daß übrig gebliebene Elternteile auch „lustige Witwen“ oder „lustige Witwer“ sein könnten, die das „Erbe“ für Kreuzfahrten und andere schöne Dinge ausgeben könnten. Da wäre vielleicht im Todesfalle für die Kinder auch hinterher nichts übrig.

    Und eins zeigte diese Dokumentation deutlich: Auch Kinder müssen lernen, loszulassen!

  3. @alexander: Ich habe in den letzten Jahren schon einige Blogeinträge zu diesem Thema veröffentlicht:
    Legal, illegal – scheißegal (2.9.2005)
    Nahe Fremde Anmerkungen zu einem Artikel von Felice Röhrs im Tagesspiegel (23.3.2006)
    Wenn die Welt abhanden kommt (16.4.2006)
    Moderne Arbeitssklaven – das illegale Geschäft mit der Pflege (18.9.2007)
    Ein Engel für Opa (9.1.2008)
    Pflege verfahren – über ein Gerichtsurteil über einen Vermittler von Pflegekräften (18.11.2008)

    Und hier im wordpress-blog letztes Jahr im November:
    Wieder mal: Pflegehilfen aus Osteuropa

  4. Ich habe den Film erst heute im mdr gesehen und im Verlauf der Sendung machte sich immer mehr Empörung in mir breit. Voller Überheblichkeit übertragen die sichtbar gut situierten Müllers ihre überzogenen Erwartungen auf die junge Frau und führen diese Ansprüche wiederum auf die „hohen Kosten“ dieser Pflegefinanzierung zurück, so als ob Getas Verdienst von gerade einmal 1000 Euro bei freier Logis (im Zimmer der Großmutter) und freier Kost (aber bitte nicht immer so teures Fleisch kaufen!) die geforderte „innere Anteilnahme“ begründen könnten, ich habe auch nicht wirklich begriffen, was von ihr noch mehr erwartet wird. Letztendlich wurde ihr gar das freundliche Wesen noch vorgeworfen (wobei mir natürlich bewusst ist, dass in einem halbstündigen Fernsehbeitrag nicht jedes Detail der 8 Wochen dokumentiert werden kann).
    Müllers sehen beide nicht so aus, als würden sie unter diesen Umständen und zu diesen Konditionen zu arbeiten bereit sein, es scheint ihnen aber nicht bewusst zu sein, dass sie die Polin ausbeuten (auf den Stundenlohn von anderthalb Euro wurde schon hingewiesen), statt dessen scheint sich vor allem die Tochter in christlicher Rechtschaffenheit streckenweise recht egozentrisch zu aalen. Persönlich kenne ich Polen sehr gut und ich vermute, dass Greta keinen guten Bericht über ihren Aufenthalt bei der Familie abgeben wird. Vor allem die kühle Distanziertheit, Arroganz, die ständige Kontrolle und das damit verkörperte Misstrauen der Müllers entsprechen leider dem Bild der Deutschen in Polen ziemlich exakt. Vielleicht konnte Greta die chronisch unzufriedene, nörgelnde Arbeitgeberin auch aus diesem Grund mit einer gewissen Portion Humor ertragen, ohne ihre gute Laune zu verlieren. Ich hoffe, dass Pflegekräfte aus Osteuropa in Zukunft ihren Wert erkennen und entsprechende finanzielle Forderungen stellen werden, zumal 1000 Euro auch in Polen kein besonders hohes Einkommen mehr bedeuten.

  5. Pingback: Häusliche Pflege: Schritt für Schritt | Das Wissen um die Pflege

  6. Pingback: Vermittlung von Haushaltshilfen aus Osteuropa | Alzheimerblog's Blog

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