Vertraute Kulisse …

… ist ein Artikel in der Zeit vom 24. Januar 2013 überschrieben, der über das Demenzdorf in Weesp bei Amsterdam berichtet. Der Artikel bringt nichts Neues im Vergleich zu dem, was bisher in den Medien berichtet wurde. Man erfährt, daß sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz vergleichbare Einrichtungen geplant sind.

Mich wundert immer wieder, warum bei Berichten in den deutschen Medien nie auf die finanziellen Aspekte – also die Finanzierbarkeit eines solchen Aufenthaltes eingegangen wird. In den Niederlanden zahlt die Krankenkasse monatlich für den Aufenthalt im Demenzdorf 5000 Euro. Das liegt noch um einiges über den hiesigen Pflegeheimpreisen. In den Niederlanden und der Schweiz läuft die Finanzierung von Pflegeplätzen völlig anders als bei uns. In Deutschland werden Angehörige herangezogen zur Deckung der Kosten falls der Heimbewohner das aus eigenen Mitteln nicht bezahlen kann. Das wäre in der Schweiz oder in den Niederlanden völlig undenkbar. In den Niederlanden zahlt jeder während seines Arbeitslebens – auch für den Fall der Versorgungsbedürftigkeit ein. Angehörige werden – außer zu sehr geringfügigen Extras überhaupt nicht herangezogen.

Ich erinnere mich an eine der Fernsehdokumentationen über das Demenzdorf. Dort wurde ein Angehöriger befragt, wieviel er denn monatlich für den Aufenthalt seiner Frau bezahle. Er zählte einige besondere Aktivitäten, an denen seine Frau teilnimmt auf (Bastelgruppe, Ausflüge) und daß sich der Eigenanteil, den er dafür pro Monat ausgibt, so um die dreißig bis fünfzig Euro belaufe. Das sind völlig andere Verhältnisse als bei uns. Deshalb würde es mich wirklich interessieren, wie die Betreiber des in Alzey geplanten Demenzdorfes vorgehen wollen, damit der Aufenthalt dort genauso viel kostet wie in einem deutschen Pflegeheim – so hieß es in einigen Berichten.

Krankentransport und Demenz

Krankentransport

Krankentransport

Gestern war ich bei einem Gespräch mit der Ärztin, die Günter im Rahmen einer Strahlentherapie ambulant behandelt hat. Zehn Mal wurde er mit dem Krankentransport einer bekannten Berliner Firma hin- und nach Hause gebracht. Die Firma fährt mit Wagen, die das Signet auf der Abbildung oben tragen durch die Stadt. Bis auf eine Ausnahme war es katastrophal und stressig. Grundsätzlich kamen die Fahrer knapp, meistens aber zu spät – und zwar erheblich zu spät. Einmal hatte Günter um 12.00 Uhr einen Bestrahlungstermin und das Fahrzeug holte ihn erst um 12.40 ab. Die Entfernung beträgt laut Routenplaner drei Kilometer und wenn man durchfahren kann, dann dauert es etwa 8 – 10 Minuten. Als ich nun die Herren bei dieser extremen Verspätung fragte, warum sie erst jetzt kämen, antworteten sie mir, sie hätten den Auftrag erst vor 15 Minuten erhalten.

Immer wieder rief ich bei der Firma H. an und mußte nachfragen, warum der Wagen denn noch nicht da sei und wie lange es noch dauert. Ich bekam immer nur verschwommene Aussagen und merkwürdige Begründungen wie beispielsweise, daß Liegendtransporte Vorrang hätten – Günter wurde in einer Sitztrage transportiert.

Eine Nachfrage bei der Krankenkasse erbrachte die Auskunft: „Das macht die Charitè. Da können wir nichts machen“. Darüber – und über anderes – wollte ich mit der behandelnden Ärztin sprechen, denn warum muß die Klinik mit einem Krankentransportunternehmen zusammenarbeiten, dessen schlechte Organisation ein unnötiges Maß an zusätzlichem Streß für die Kranken bedeutet. Bei dem einen optimalen Transport war Günter nach nicht einmal eineinhalb Stunden zuhause. Bei den suboptimalen Transporten dauerte es mindestens drei meistens vier Stunden und mehr. Wenn er nicht pünktlich zu seinem Termin da ist, dann muß er sich quasi hinten anstellen. Er hatte immer wieder Angst, daß er überhaupt nicht mehr dran kommt. Dazu kam, daß die Verwaltung des Krankentransportes den Fahrern falsche oder keine Angaben über den Transportweg machte. So wurde Günter einmal eine dreiviertel Stunde in ein anderes Krankenhaus transportiert.

Was ich von der Ärztin zu diesem Thema erfahren habe hat mich einigermaßen überrascht. Die Ärztin erzählte mir, daß das Kapitel Krankentransport eines der sehr unerfreulichen ihrer Arbeit sie. Jeden Tag gäbe es unendlich viel Ärger damit. Wenn ein Patient einen Krankentransport zu einer ambulanten Therapie benötigt, dann schreibt sie das dem Patienten auf. Mehr hat das Krankenhaus eigentlich nicht mehr damit zu tun. Der Patient setzt sich dann mit seiner Krankenkasse in Verbindung. Die Krankenkasse hat Verträge mit verschiedenen Transportunternehmen. Darunter kann der Patient sich dann ein Unternehmen aussuchen. In der Praxis läuft es dann oft so, daß das Krankenhaus gleich diese Verordnung an die Krankenkasse faxt um das Verfahren zu beschleunigen und die Krankenkasse dann sich mit einem Transportunternehmen in Verbindung setzt, das zu ihren Vertragspartnern gehört.

Außerdem erzählte die Ärztin, daß das Sozialgesetzbuch, das den rechtlichen Rahmen dieser Krankentransporte festlegt, vorschreibt, daß die Patienten von zuhause bis zum Eingang der Therapie-Einrichtung, in der die Behandlung stattfindet, bringen müssen. Es gäbe aber durchaus Verträge von Krankenkassen mit Transportunternehmen, die -gesetzeswidrig – festlegen, daß der Transport von der Wohnung zum Klinikgelände erfolge. Gerade bei dementiell veränderten Patienten könne das zur Folge haben, daß die dann mangels ausreichender Orientierung auf dem Klinikgelände umherirren. Es sei dabei auch schon vorgekommen, daß demente Patienten zu Schaden gekommen seien. Da habe dann die Krankenkasse versucht, das Krankenhaus haftbar zu machen.

Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Themenschwerpunkt „Leben mit Demenz“ auf evangelisch.de

evangelisch.de

evangelisch.de

Auf der Seite der evangelischen Kirche von Deutschland (EKD) wurde ein Themenschwerpunkt „Leben mit Demenz“ eingerichtet. Die Übersichtsseite findet man hier.

Bis jetzt sind Artikel zu den folgenden Themen eingestellt:
– Mutter mit Demenz – die Liebe neu entdecken (zum Film von David Sieveking)
– die Demenz-WG
– Kann Demenz ein Gewinn sein?
– Henning Scherfs Plädoyer für eine bessere Pflege
– Alzheimer: Tante Annerose reist zu alten Freunden
– Ethikrat: Demenzkranke sollen selbstbestimmt leben

Wanderausstellung: Kunst trotz(t) Demenz

Titelmotiv der Ausstellung: Herbert Zangs

Titelmotiv der Ausstellung: Herbert Zangs

Schon vor längerer Zeit bin ich auf die Wanderausstellung „Kunst trotz(t) Demenz“ aufmerksam geworden. Eine Bekannte, die viele Jahre lang ihren demenzkranken Mann gepflegt hat und von dem einige Werke in der Ausstellung zu sehen sind, wird immer wieder zu Veranstaltungen im Rahmen des Begleitprogramms eingeladen.

Sie hat mir auch einige Aquarelle gezeigt, die vor seiner Erkrankung während seiner Berufstätigkeit auf Urlaubsreisen entstanden sind. Bilder im A4-Format, die für mich „ganz nett“ waren. Die großformatigen Bilder, die er in Acryl dann der Zeit seiner Erkrankung geschaffen hat (mehr als 200) haben für mich ein ganz anderes Potential und sind sehr beeindruckend. Einige davon kann man in der Ausstellung sehen.

Informationen über die Ausstellung, Ausstellungsorte und die beteiligten Künstlerinnen und Künstler findet man hier

dementielle Veränderungen durch Metastasen im Gehirn

Eigentlich hatte ich gedacht, daß Alzheimer und Demenz nach dem Tod meiner Mutter im März 2011 – zumindest was das engste Umfeld betrifft – erledigt ist und ich nur noch dann und wann einen Eintrag im Weblog publiziere, wenn ich auf ein Buch, einen Artikel, einen Film, eine Ausstellung, ein Modellprojekt oder irgendetwas anderes Interessantes, was mit dem Thema Demenz zu tun hat, stoße. Dass es dann ganz anders kommt, konnte ich zum damaligen Zeitpunkt nicht wissen.

Günter hat den Laptop mitgebracht und schaut mit Mama Fotos an

Günter hat den Laptop mitgebracht und schaut mit Mama Fotos an

Die alten „Stammleser“ dieses Weblogs werden sich vielleicht an Günter erinnern, von dem ich immer wieder erzählt habe, weil er mich in der langen Zeit mit meiner Mutter in einer Art und Weise unterstützt hat, wie ich es nie für möglich gehalten hatte. Er kannte sie nicht persönlich bis ich sie nach Berlin holte. Regelmässig hat er sie im Heim besucht, mit mir, aber auch oft ohne mich. Er ging mit ihr in den monatlich stattfinden Gottesdienst für Alzheimerkranke, besorgte dies und jenes, überspielte ihr CDs, kürzte ihre Hosen, sang Lieder aus den 20iger Jahren mit ihr, schob sie in ihrem Rollstuhl durch den Garten  und nahm ihr als „Herr Pfarrer“ die Angst vor dem letzten Gericht und vor der Hölle.

Sie war durch eine katholische Klosterschulerziehung gegangen, deren religiöse Unterweisung durch Druck, Angst und Strafe geprägt war. So hatte sie in ihrem Erwachsenenleben nichts mehr mit Religion zu tun haben wollen. Durch den Pfarrer, der im Heim die Gottesdienste gestaltete, hatte sie einen anderen Zugang bekommen, aber die alten, verschütteten Kindheitsängste brachen wieder auf. Vor dem Sterben hatte sie keine Angst, aber vor dem Danach. . Und Günter hat einen Weg durch die Demenz hindurch gefunden mit ihr darüber zu sprechen und ihr gesagt: Du brauchst Gott nur sagen, wenn Dir etwas auf dem Herzen liegt, was Dir leid tut. Dann vergibt er das. Und sie fragte: Und das reicht? ER: Ja, das reicht. Das hat sie getröstet und beruhigt, und seitdem war Günter immer wieder auch der „Herr Pfarrer“ wenn er sie besuchte. Er spielte dann das Spiel mit und war einige Minuten als Herr Pfarrer bei ihr und ging dann, weil doch noch andere Leute auf seinen Besuch warten. Einige Minuten später kam er dann wieder als Günter.

Die Beziehung zu ihrm war meiner Mutter so wichtig, daß sie einmal zu mir sagte: „Du darfst dich aber nie mit dem Günter streiten“. Warum nicht? Weil ich Angst habe, daß er dann nicht mehr zu mir kommt. Er sprach mit ihr darüber, daß er sie weiterhin besuchen wird – so wie es seine Gesundheit zuläßt – unabhängig davon ob er mit mir Knatsch hat oder nicht.

Im Mai 2010 hatte er einen Fahrradunfall und konnte sie nicht mehr besuchen. Es war Mama ganz schwer zu vermitteln, warum er nicht mehr (mit)kommen kann. Zu Weihnachten waren wir noch einmal gemeinsam bei ihr. Da hatte er bereits seine erste Krebs-OP und einer Chemotherapie, die er nicht vertrug, hinter sich. Auch bei ihrer Beerdigung hat er mich begleitet. Es folgten zwei weitere Chemotherapien, die er leider auch nicht vertrug – wobei das eine sehr freundliche Umschreibung für die heftigen Nebenwirkungen (Übelkeit, massive Gewichtsabnahme …) ist. Und nach jeder dieser Chemotherapien lag eine längere Erholungsphase.

Im Detail kann man das gar nicht beschreiben. In den 2 1/2 Jahren seiner Erkrankung hatte er 20 stationäre Krankenhausaufenthalte – von der Tagesklinik und diversen ambulanten Untersuchungen nicht gesprochen – und er hat fast keine der möglichen Komplikationen ausgelassen. Seine Lieblingsärztin meinte ein halbes Jahr vor seinem Tod: Herr G., wenn der liebe Gott wieder einmal neue Nebenwirkungen verteilt, dann melden Sie sich aber nicht gleich wieder als Erster.

Im Juli dann schlugen ihm die Ärzte eine Antikörpertherapie vor, die in der Tagesklinik gemacht werden konnte und die schlug gut an. Die vergleichsweise geringfügigen Nebenwirkungen (Juckreiz) konnte man gut in den Griff bekommen. Alles schien sich gut zu entwickeln bis Günter Ende August – also sieben Wochen später – dann im Lendenwirbelbereich über Schmerzen klagte. Er wurde ganz schnell in die Klinik aufgenommen und mußte innerhalb von wenigen Tagen viele Untersuchungen über sich ergehen lassen, bei denen Metastasen in den Knochen und drei Metastasen im Gehirn entdeckt wurden. Es gab dann noch eine Serie von Bestrahlungen, die dem Zweck dienten, das Wachstum der Gehirnmetastasen zu verlangsamen. Ansonsten wurden alle therapeutischen Maßnahmen bis auf die Schmerztherapie eingestellt.

Bis zwei Wochen vor seinem Tod im November 2012  habe ich ihn dann zuhause mit der Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes betreut und versorgt. Und dabei kam ich an meine Grenzen, denn die Metastasen wachsen und je nachdem welche Region im Gehirn betroffen ist, so sind dann die Veränderungen. Ich erlebte Demenz im Schnellverfahren und war darauf nicht vorbereitet. Günter, der ein Technik-As gewesen war und meine ganzen technischen Geräte aufgebaut und programmiert hat, konnte nicht mehr mit den Fernbedienungen seiner technischen Geräte umgehen und war nur noch an guten Tagen in der Lage, sein Telefon zu benutzen. Das Aufstehen fiel ihm immer schwerer, aber am schwierigsten waren die emotionalen Ausbrüche, die er selber nur schwer verkraftet hat.

Als er sich dann Pläne zeichnete, was in welchem Schrank wo ist und die Schrankfächer beschriftete, da hatte ich ein deja-vu-Erlebnis. Das kannte ich von meiner Mutter. Nach und nach fiel es ihm auch immer schwerer, Gedanken zuende zu denken und sprachlich auszudrücken. Ich versuchte dann zu kombinieren und zu raten. Manchmal gelang es, aber manchmal auch nicht. Ende Oktober kam er dann nochmal ins Krankenhaus, und da wurde klar, daß es zuhause nicht mehr geht.

Glücklicherweise habe ich sehr schnell einen Hospizplatz gefunden, und so konnte er die letzten zwei Wochen bis zu seinem Tod im L.azarus-Hospiz verbringen. Im Rahmen des Möglichen war das die beste Lösung. Im Hospiz hatte er ein Zimmer für sich. Die Pflegekräfte waren sehr zugewandt und engagiert. Er wollte meistens in Ruhe gelassen werden, und auf seine Wünsche wurde eingegangen. Was ich aber äußerst schwierig fand war, daß auf die dementiellen Aspekte seiner Verfassung – wie ich finde – nicht adäquat eingegangen wurde.

Im Hospiz geht es um Lebensqualität in der letzen Lebensphase. Dabei ist die Schmerztherapie ein sehr wesentlicher Faktor. Es wird nichts gegen den Willen des Patienten gemacht, was ich auch richtig finde. Aber im Hospiz hatte ich mit Günter ähnliche Probleme wie ich sie von stationären Krankenhausaufenthalten meiner Mutter kannte. Essen, Trinken und Medikamente werden hingestellt. Wenn sie dann nach einer gewissen Zeit nicht genommen sind, werden sie weggenommen, weil der Patient sie nicht will und ja nichts gegen seinen Willen geschehen soll.

Das geht aber an der Realität der dementiellen Veränderung vorbei. Wenn ich da war, dann konnte ich ihm erklären, daß das seine Schmerzmedikamente sind, und er die jetzt nehmen muß um zu vermeiden, dass er Schmerzen bekommt. Ähnlich war es mit dem Essen. Es geht dabei nicht um große Mahlzeiten, sondern um ein paar Löffel Griesbrei. Wenn er nichts im Magen hat, dann ist ihm übel von dem massiven Medikamenten. Also habe ich ihm erklärt, daß er doch ein paar Löffel Griesbrei essen soll, damit ihm nicht so schlecht ist. Er tat das dann auch. Aber die meisten Pflegekräfte taten das nicht. Für mich war das dann belastend. Ich hätte mir  Unterstützung von den Pflegekräften im Sinn von motivierendem Erklären gewünscht, aber dazu waren die meisten nicht bereit, weil das ihrer Meinung nach gegen den freien Willen des Gastes verstößt.

Ich war vorher uneingeschränkt positiv von Hospizen überzeugt, denke inzwischen, dass es gute Orte für Menschen sind, die noch kognitiv gut drauf sind und ihre Wünsche äußern können. Von daher habe ich durch diese Erfahrung eine realistischere Einschätzung bekommen.

Erst nach Günters Tod ist mir bewußt geworden, daß bei all meiner Beschäftigung mit Alzheimer und Demenz in den letzten Jahren nirgendwo der Aspekt von dementiellen Veränderungen als Folge von Metastasen im Gehirn auftaucht. Für Angehörige, die das dann erleben ohne vorher mit Demenz und Alzheimer konfrontiert gewesen zu sein, stelle ich mir das unglaublich schwierig vor.

Nachtrag 13. Januar 2013:
Vor einigen Tagen ist eine gute Freundin in dem gleichen Hospiz verstorben. Sie konnte bis relativ kurz vor ihrem Tod klar kommunizieren. Für sie war es der optimale Ort.