Warum ich diesen Blogbeitrag trotzdem damit eroeffne, hat mit dem Thema PFLEGENDE ANGEHOERIGE zu tun. Das bin ich zwar seit dem Tod von Mama und Guenter nicht mehr, aber ich habe diese Zeit noch sehr lebhaft in Erinnerung. Als pflegender und-oder-betreuender Angehoeriger geraet man – je laenger umso mehr – ins soziale Abseits, in die Isolation. Man hat kaum Zeit um soziale Kontakte zu pflegen und aufrechtzuerhalten. Und man hat zunehmend weniger Themen, die man mit anderen teilen kann. Man ist froh um jede Zusammenkunft, an der man teilnehmen kann ohne dass man weite Wege – fuer die man nicht die Zeit und auch nicht die Energie, die man nicht hat – auf sich nehmen muss. Wenn es zudem wenig oder gar nichts kostet ist das ein weiterer Pluspunkt. Denn wer aktiv pflegt und betreut hat wenig freie Zeit und oft wenig(er) Geld zur Verfuegung.
Vor einigen Tagen nahm ich an einem abendlichen Seminar teil. Als ich den Seminarraum betrat, war mir klar, daß die Seminarleiterin total erkältet war. Da waren nicht mehr Papiertaschentücher gefragt, sondern da war eine Klorolle im Einsatz. Wenn ich nicht eine Stunde unterwegs gewesen wäre, wäre ich sofort umgekehrt. In mir stieg Panik auf: Scheiße, was ist, wenn ich eine Erkältung bekomme … STOP ! Du pflegst und betreust nicht mehr. Mama und Günter sind tot.
Selbst in Mamas letzten Jahren, die sie im Heim verbracht hat, lief immer der innere Zensor in mir mit. Ich wusste, wie sehr sie auf meine Besuche wartet. Wenn ich krank werde, dann ist sie versorgt, unabhängig davon ob ich komme oder nicht. Aber jeder betreuende und heimbesuchende Angehörige weiß: Wenn ich oder ein anderer von uns einen grippalen Infekt, eine Darmgrippe oder irgendetwas anderes Ansteckendes ins Heim einschleppt, dann reduziert das die Lebensqualität der Wohngruppe erheblich, denn dann sind alle gruppenübergreifenden Aktivitäten gestrichen, damit sich die Infektion nicht ausbreitet.
In Mamas Wohngruppe hieß das: Kein Besuch vom Therapiehund, denn der ist in verschiedenen Gruppen im Einsatz; keine Teilnahme am Gottesdienst, keine Teilnahme am Ausflug zum Tierbauernhof, denn das Zusammentreffen mit Bewohnern aus anderen Wohngruppen könnte die Krankheitserreger verbreiten. Kein Besuch im Kaffeestübchen. Das waren nun die Lieblingsaktivitäten meiner Mutter. Aber für andere Bewohner füge ich hinzu: Keine Bewegungsgruppe, keine Singgruppe, keine Kunsttherapie, keine Beschäftigungstherapie, keine Kochgruppe – um nur einige zu nennen.
Aber bei Günter war es noch schlimmer: Ich habe ihn in seiner letzten Lebensphase – bis auf zwei Wochen im Hospiz – zuhause gepflegt. Er bekam ambulant Chemotherapie, Bestrahlungen und später auch eine Antikörpertherapie. Da ist jede Erkältung der SuperGAU, weil sie nämlich in Frage stellt, ob die Chemo- oder Antikörpertherapie fortgesetzt werden kann. An den Tagen, an denen er in die Charité zur ambulanten Chemo oder Antikörpertherapie musste, wurde erst einmal Blut abgenommen und im Labor festgestellt, ob alles so weit in Ordnung ist um die Chemo stattfinden zu lassen. Bei erhöhten Entzündungsparametern beispielsweise wurde dann keine Chemo gemacht, sondern der Patient wieder nach Hause geschickt. Sie kannten sich untereinander, die sich am Dienstag oder Freitag in der Tagesklinik trafen und nahmen aneinander Anteil. Immer wieder erzählte Günter von dem einen oder anderen Mitpatienten, der nach Verkündung der Laborwerte ohne Chemo nach Hause geschickt wurde: „Wir können heute keine Chemo bei Ihnen machen, weil …“. „Nach Hause“ hieß dann durchaus, daß jemand nach Stralsund oder in die hinterste Pampa vom Flächenland Brandenburg fahren musste: Außer Spesen nichts gewesen.
Und genau darum macht es mich unglaublich wütend, wenn Leute, die krankheitsbedingt eigentlich ins Bett gehören, unter Menschen gehen und ihre Keime, Bazillen undsoweiter weiterverbreiten. Wenn man bedenkt, wie viele Menschen in Deutschland privat gepflegt werden und wie viele Menschen chronisch krank sind, dann ist das rücksichtslos mindestens gedankenlos.. Es geht ja nicht nur um die Chemotherapie von Krebskranken. In gleicher Weise sind auch Menschen mit vielen anderen chronischen Krankheiten deren Immunsystem herabgesetzt ist, betroffen. Auch pflegende Angehörige haben oft aufgrund der großen Belastungen eine geschwächte Abwehr.
In unserer Gesellschaft sind diese Halb-, Viertel- und Dreiviertelkranken hoch akzeptiert. Da wird bewundernd von Herrn Müller gesprochen, der sich trotz Erkältung zur Chorprobe schleppt oder Frau Adam, die trotz Grippe Lektorendienst im Gottesdienst macht oder Herr Schulz, der trotz Infekt die Jugendgruppe leitet und Frau Maier, die trotzdem die Stadtteilbibliothek betreut. Ihnen allen wird große Anerkennung gezollt, weil sie sich in ihrem gesundheitlich angeschlagenen Zustand zu irgendwelchen beruflichen oder Freizeitaktivitäten hinreißen lassen. Der Anerkennungsgrad steigt proportional mit dem hinfälligen Zustand dessen, der eigentlich unter Quarantäne gehört und nicht unter Menschen. Dass wir pflegende Angehörige deshalb – gerade aber nicht nur – in der Erkältungssaison noch mehr isoliert sind als sowieso durch die Krankheit des Angehörigen bedingt, das fällt unter den Tisch. Pflegende Angehoerige sind nämlich unsichtbar und werden in der Schniefen-Schnauben-Rotzen-Saison noch unsichtbarer (gemacht).
Herr Müller, Frau Adam, Herr Schulz und Frau Maier werden gelobt und heroisiert, weil sie sich verausgaben und vielleicht sogar erschöpfen. Wir pflegende Angehörige, die sich mehr verausgaben und erschöpfen, wir werden nicht bewundert und wollen das meist auch gar nicht. Aber trotzdem wäre es ganz schön, wenn man – gerade in der dunklen Jahreszeit – in den Frauenkreis gehen könnte, an einem Märchenabend teilnehmen könnte oder irgendwas Schönes und Entspannendes, was einem wieder Kraft und Anregung geben könnte, machen könnte ohne unsicher zu sein, ob man es riskieren kann dahin oder dort hin zu gehen, weil wieder jemand von der Schniefen-Schnauben-Rotzen-Fraktion unterwegs ist.
In dem Bereich, in dem ich verantwortlich war, bin ich immer wieder sehr deutlich geworden. Ich leite Wochenseminare in der beruflichen Fortbildung. Immer wieder gab es Teilnehmende, die gesundheitlich sehr angeschlagen kamen. Ich verstehe, dass man sich auf eine Fortbildungswoche freut, für die man sich lange vorher angemeldet hat und auch bezahlen muss. Dennoch habe ich gelegentlich Teilnehmende zum Arzt und damit nach Hause geschickt: ERSTENS, weil die Anforderungen in der Woche so hoch sind, dass man sie – wenn man gesundheitlich angeschlagen ist – nicht erfüllen kann und ZWEITENS betreue ich eine demenzkranke Mutter und habe (eineinhalb Jahre parallel dazu) zwei Jahre lang einen krebskranken Partner gepflegt. Wenn ich mir einen Infekt hole, dann bricht bei letzterem pflegemässig der SuperGAU aus.
Und nun zum Schluß eine Bitte bzw. Anregung, die ich in den acht Jahren meines Bloggens noch nie geäußert habe: Ich halte diese Gedanken und Erwägungen für so wichtig, weil sie viele betreffen, daß ich mich über Verlinkung würde.
Ende der Durchsage. Ich gehe mich weiter auskurieren.
– –
Ich lese diesen Beitrag erst jetzt. Aber er ist wirklich wichtig!
Es betrifft ja eigentlich ALLE Menschen, die beruflich mit anderen Menschen arbeiten müssen. Um mich als klassische Sängerin sowieso besonders. Ich gehe allen hustenden, schiefenden Menschen aus dem Weg und gebe auch keine Hand.
In anderen Ländern wird wenigstens ein Mundschutz getragen!
Aber hier ist es cool, wenn man so tapfer ist, seine Bazillen durch die Gegend zu tragen!
Hat dies auf Wiebke Hoogklimmer, Altistin und Musiktheaterregisseurin rebloggt.
…oben sind ein paar Rechtschreibfehler, die ich nicht mehr ändern kann…. 😉
Hat dies auf Blaupause7 rebloggt und kommentierte:
Vielen Dank für diese deutlichen Worte – da in gewisser Weise auch ich als (mit)pflegende Angehörige betroffen bin, werde ich sehr ärgerlich, wenn sich wieder Kollegen ins Büro schleppen, die eigentlich ins Bett gehören.
Lieben Gruß
Ulrike (auf blaupause7.wordpress.com)
ich habe ihn re-bloggt. nur für den fall, dass meine antwort nicht ankam