Ham Se gut gemacht: Anschauen!

In der 37 Grad – Serie wurde gestern die Reportage „Rudi Assauer – ich will mich nicht vergessen“ von von Stephanie Schmidt gezeigt. Sie hat Rudi Assauer über ein Jahr lang begleitet. In jedem Moment wird respektvoll mit Rudi Assauer, seiner – damaligen Frau – Freunden, der Büroleiterin und der Tochter umgegangen. Es ist sehr beeindruckend, wie Stephanie Schmidt sich auf die Welt des Rudi Assauer eingelassen hat. Anschließend wurde bei Markus Lanz über das Thema Demenz diskutiert. Dabei wurde Frau Schmidt dann gefragt, ob Rudi Assauer den Film gesehen habe und wie er darauf reagiert habe. Ja, Herr Assauer hat den Film gesehen und dazu gemeint: Ham Se gut gemacht!

Screenshot: 37 Grad - Rudi Assauer

Dem ist nichts hinzuzufügen. Im Gegensatz zum Stern-Portrait über Rudi Assauer, in dem der Verfasser Alzheimer zur „Kernschmelze der Persönlichkeit“ erklärte, macht der Film von Frau Schmidt deutlich, daß auch der dementiell veränderte Mensch eine Persönlichkeit mit Potentialen ist. Ein kurzer 6minütiger Beitrag über dieses Jahr ist auch zu finden. Die Website zur 37 Grad – Sendung ist hier .

Stephanie Schmidt über ihr Jahr mit Rudi Assauer (Video 6 Minuten)
Ich will mich nicht vergessen (37 Grad Sendung – 30 Minuten)
Volle Kanne Frühstück mit Rudi Assauer (Video 45 Minuten)

Rudi Assauer hat sich geoutet

In der Stern-Ausgabe vom 2. Januar 2012 hat sich der ehemalige Fußballstar und Schalke-Manager Rudi Assauer geoutet: Er hat Alzheimer. In den nächsten Tagen wird seine Biografie erscheinen. In den letzten Jahren hat der Stern immer wieder gute und hilfreiche Artikel zum Thema Demenz aus unterschiedlichen Perspektiven veröffentlicht, auch aus der von betroffenen Angehörigen. Diesen Artikel fand ich aber äußerst unangenehm, denn hier wird ein prominenter Kranker vorgeführt. Die roten Einschübe im Artikel mit Orginalzitaten aus Intervies mit dem in seinen sprachlichen Fähigkeiten sehr eingeschränkten Rudi Assauer hätten nicht sein müssen. Auch ohne diese bloß stellenden Interviewbrocken wäre der Artikel verständlich gewesen. Besonders daneben fand ich die Formulierung von Alzheimer als „Kernschmelze der Persönlichkeit“.

Letzte Freiheit … oder was?

Gunter Sachs, Demenz, Alzheimer, Selbstmord, Selbsttötung, Stern, Reportage

Stern vom 12. Mai 2011

Der aktuelle Stern macht mit der Selbsttötung von Gunter Sachs auf und überschreibt sie mit „letzte Freiheit“. Ist es wirklich ein Zeichen von Freiheit oder von Unfreiheit, in dieser Situation aus dem Leben zu gehen? „Letzte Freiheit“ suggeriert etwas Heroisches. Und dieser Tod hat für mich nichts heldenhaftes. Ein Mensch, der nach gängigen gesellschaftlichen Maßstäben alles hatte, setzt seinem Leben ein Ende. Dieses Leben war ein nach außen inszeniertes Leben, und Gunter Sachs hatte die Kontrolle über diese Inszenierung. Alzheimer, wobei niemand weiß, ob er wirklich im Anfangsstadium dieser Krankheit war, bedeutet: Zunehmenden Kontrollverlust und zunehmendes Angewiesensein auf andere. Das konnte Gunter Sachs nicht ertragen – oder besser gesagt, diese Vorstellung konnte und wollte er er nicht ertragen. Er hatte materiell gesehen viel bessere Voraussetzungen als die meisten anderen: Er hätte sich Betreuung und Unterstützung nach seinen Bedürfnissen und Wünschen leisten können. Jemand, der eben mal zum Zahnarztbesuch nach Kalifornien jettet, scheitert an der Zukunftsperspektive Demenz. Die materielle Seite, die viele an den Rand der Verzweiflung treibt – neben allen möglichen anderen Schwierigkeiten, kann es nicht gewesen sein. Er wollte sich selber und anderen das nicht zumuten. Wobei noch die Frage wäre, wie die „anderen“, die jetzt mit dieser Selbsttötung leben müssen, dazu gestanden hätten.

Meine Mutter hat immer wieder geäußert, daß sie sterben will. Mehrmals dachten wir, es sei bald soweit, aber immer wieder kam sie ins Leben zurück. Und dann starb sie zu einem Zeitpunkt, an dem wir nicht damit gerechnet haben. Wobei ich denke, daß es weniger die Demenz war, die ihrem Todeswunsch zugrunde lag, sondern dass sie eben auch chronische Schmerzpatientin war und in ihrer Bewegungsfähigkeit immer mehr eingeschränkt war. Und trotzdem hat sie in ihrer Krankheit Seiten und Interessen entwickelt, die ihr in gesunden Tagen fern waren. Die ganzen Jahre hat sie bei der Beschäftigungstherapie das Tun der anderen Bewohnerinnen rege kommentiert. Das war ihr Beitrag zum Gruppengeschehen. Mit Basteln, Malen und kreativen Gestaltungsformen hatte sie es ihr ganzes Leben nicht. In der Pflegedokumentation in ihrer letzten Lebenswoche war zu lesen: Bewohnerin hat in der Beschäftigungstherapie ein Bild gemalt.

Ich finde es sehr bedenklich, daß der Selbstmord von Gunter Sachs so idealisiert wird. Das sagt viel über den Zustand unserer Gesellschaft. Müßten wir nicht viel mehr danach fragen, wie denn die Rahmenbedingungen für dementiell veränderte Menschen und ihre Angehörigen sein müßten, die ein Leben in Würde ermöglichen?