Leben in vertrauten Bahnen

In den letzten Jahren wurde das niederländische Demenzdorf de Hogeweyk immer populärer. In der Nähe von Alzey wurde eine ähnliche Einrichtung geplant. Nun gibt es bei Hameln einen Ort für dementiell veränderte Menschen, der vom niederländischen Vorbild inspiriert ist. Die taz hat gestern einen Artikel darüber veröffentlicht, der inzwischen auch online zugänglich ist. Seit März 2014 ist die Einrichtung im Aufbau.

„Tönebön liegt am Stadtrand, ohne öffentliche Verkehrsanbindung. Natürlich sei sie für Inklusion, „aber bei Demenzkranken stößt sie an ihre Grenzen“ sagt die für das Qualitätsmanagement zuständige Mitarbeiterin. Und genau das ist mein Kritikpunkt an der Einrichtung von Hameln, denn das macht es schwierig, die Welt ins Heim zu holen.

In Mamas Heim gab es eine ganze Reihe von Aktivitäten, die – vorwiegend – von Einzelpersonen angeboten wurden, die im Umfeld des Heimes lebten oder von Menschen, die früher einen Angehörigen im Heim hatten. Bei der Suche nach einen Heimplatz hätte ich mir nie vorstellen können (und wußte auch gar nichts davon), welche emotionale Bedeutung es für die BewohnerINNEN hat, daß Menschen von draußen kommen und mit ihnen Zeit verbringen und das tun, was sie gut können. Das wird schwieriger, weil die Hürde höher ist, wenn ein Auto vorhanden sein muß um ins Heim zu gelangen. Das gilt natürlich auch für Angehörige, die keinen Führerschein bzw. kein Auto zur Verfügung haben.

Ich denke an Herrn G., der fünf Jahre lang jeden Freitag mit seinem schwarzen Hund Largo ins Heim kam. Largos Besuche waren Höhepunkte im Leben meiner Mutter. Sie hat ihn schmerzlich vermißt, wenn er krank oder im Urlaub war oder die Besuche nicht stattfinden konnten, weil wegen einer Infektionskrankheit gruppenübergreifende Aktivitäten gestrichen waren. Largo war ein Therapiehund, dessen 2jährige Ausbildung Herr G. aus eigener Tasche finanziert hat. Da Herr G. ein sehr zurückhaltender Zeitgenosse war, kam die Heilpädagogin mit und moderierte die Besuche.Außer Largo und Herrn G. gab es noch zwei weitere Therapiehundeteams, wobei ein Hundeteam auf Liegendkranke spezialisiert war.

Ich denke an Ehepaar X und Frau Z, die das “Kaffeestübchen” organisierten, das ich oft mit meiner Mutter besucht habe. Das Kaffeestübchen war ein Raum, der im Stil eines Cafes der 50iger und 60iger Jahre eingerichtet war bis hin zum Geschirr. Am Dienstag- und Freitagnachmittag wurde es geöffnet. Freitag war Ehepaar X dran, die stets mit mehreren selbst gebackenen Kuchen anrückten. Dienstags war Frau Z. dran, an die ich keine genauere Erinnerung habe.

Ich denke an Herrn L., einen musikalischen Menschen, der alle zwei Wochen an einem bestimmten Nachmittag mit seinem Akkordeon kam und in verschiedenen Gruppen Schlager vorspielte.

Ich denke an die Absolventen der Regieklasse der Filmhochschule Potsdam unter der Leitung von Volker Koepp. Manche kennen ihn vielleicht von seinem Film “Herr Zwilling und Frau Zuckermann”. Sein großes Thema ist die Veränderung von Menschen und Landschaften in den Kulturlandschaften Osteuropas. Drei Studierende seiner Regieklasse haben als Abschlußprojekt einen Film mit und über einige Heimbewohner gemacht, der mich tief beeindruckt hat. Mama kam nur in einer kurzen Sequenz vor, die etwa eine halbe Minute dauerte. Aber in dieser halben Minute habe ich eine Seite an ihr entdeckt, die mir vorher verborgen geblieben war. Der Film kam mir vor wie eine Landschaftsstudie über das “Alzheimerland”.

Ich denke an die Kinder der Hortgruppe der nahe gelegenen Kindertagestätte, de immer wieder Mamas Wohngruppe besuchten, Bilder malten, Oster- und Weihnachtsgrüße schickten und auf ganz unterschiedliche Art und Weise Farbtupfer in den Alltag der Wohngruppe brachten.

Ich denke an die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der evangelischen Kirchengemeinde, die einmal monatlich schon eine Stunde vor Gottesdienstbeginn in die Wohngruppen kamen und zum Gottesdienst einluden. In der Kirche waren sie immer freundlich und zugewandt und unterstützen, wenn jemand Hilfe brauchte.

Ich denke an Pfarrer B., der für meine Mutter ganz wichtig wurde. Vor ihrem Heimleben hat sie ein einziges Mal eine evangelische Kirche betreten, weil sie zu einer Konfirmation eingeladen war. An den monatlichen Gottesdiensten für Demenzkranke in der kleinen Dorfkirche nahm sie mit großer Begeisterung regelmässig teil – auch an dem einen oder anderen Kirchenkonzert. Sie bat mich, ihn zu fragen, ob er sic nicht besuchen könnte. Das hat er bis zu ihrem Tod getan und zum Geburtstag den ein oder anderen Bildband mit persönlicher Widmung vorbei gebracht (Mama Orginalton: “Der Herr Pfarrer hat eine Sauklaue”)

Vielleicht habe ich die eine oder andere Aktivität nicht mehr im Blick. Mamas Heim 2 gehörte zu den ersten Einrichtungen, die sogenannte “Alltagsbeigleiter” gewonnen und ausgebildet haben: Menschen – meist Frauen – der Altergruppe 55plus, die nach einer längeren Schulung mehrmals wöchentlich Aktivitäten mit den Bewohnern gestaltet haben wie etwa ein Kochgruppe. Gerne erinnere ich mich an die Samstagnachmittage im Sommer, wenn sie mit dem einen oder anderen Hauptamtlichen im Garten des Heimes ein Eiscafe im Stil der 60iger Jahre betrieben: Schokobecher, Schwedenbecher oder Banana-Split waren auf der Eiskarte als Fotos abgebildet und laminiert (welchen Eisbecher möchten Sie denn heute, Frau S.?).

Das Leben im Heim wäre sehr viel ärmer gewesen, wenn einige dieser Aktivitäten nicht stattfinden hätten können, weil das Haus nicht öffentlich erreichbar gewesen wäre.

Therapiehund Quedo im Einsatz

Die Besuche von Therapiehund Largo gehörten für meine Mutter zu den Highlights des Heimalltags – nein es war die meiste Zeit das Highlight. Gelegentlich konnten Besuche vom „Herrn Pfarrer“ noch den Therapiehund toppen.

Daran wurde ich durch einen sehr anschaulichen Artikel über  Therapiehund Quedo erinnert, den ich sehr empfehle. Dort wird von der Ausbildung und von Quedos Einsätzen im Seniorenheim und bei behinderten Kindern berichtet. Eine Bildergalerie gibt es auch. Quedo und sein Halter haben eine eigene Website und ein Weblog und zwar hier.

Mehr zu Largo, einem schwarzen Hovawart und Therapiehund meiner Mutter und anderen Therapie-Tieren (Kaninchen, Alpaka) ist unter der Kategore „Tierisches“ im alten Alzheimerblog zu finden.

Alpakas im Altenheim

Warum nicht? Beim Sommerfest im Pflegeheim waren sie eine Attraktion. Nur meiner im Rollstuhl sitzenden Mutter waren sie zu groß. Aber ein neuer Trend scheint sich in der Tiertherapie oder richtiger gesagt in der „tiergestützten Therapie“ anzubahnen, wenn man dem Magazin Spiegel glauben darf. Alpaka- statt Delphintherapie: Genauso effektiv, aber nur ein Zehntel des Delphintherapiepreises. Mit 1600 Euro für 10 Therapiestunden ist man mit den Alpakas dabei.

Beim Weiterlesen des <a href=“Beim Weiterlesen des <a href=“http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-78076147.html&#8220; title=“Spiegel-Artikels“></a>“ target=“_blank“>Spiegelartikels</a> werde ich zunehmend ärgerlich. Da ist nur von Auswüchsen und finanzieller Abzocke, also den „schwarzen Schafen“ die Rede. Und die gibt es überall. Da heißt es:

<blockquote>Hundebesitzer, die früher ehrenamtlich in den Kindergarten gingen, stellen jetzt pro Stunde gern mal 300 Euro in Rechnung – als angebliche Prophylaxe gegen psychische Erkrankungen.</blockquote>.

Therapiehund Largo, der die Wohngruppe meiner Mutter regelmässig besucht hat, hatte eine zweijährige Ausbildung zum Therapiehund durchlaufen und zwar für Demenzkranke und für behinderte Kinder. Diese Ausbildung hat den Besitzer 1600 Euro gekostet. Ob das von der Steuer absetzbar ist, weiß ich nicht. Die Besuche im Heim waren ehrenamtlich und die Aufwandsentschädigung pro Einsatz war 15 oder 20 Euro. Außerdem waren die regelmässigen amtstierärztlichen Untersuchungen für den Hundehalter umsonst.  Wer mehr über den Hundebesuchsdienst wissen will, findet einige Blogeinträge unter der Kategorie „Tierisches“.

Religion und Spiritualität im Altenheim

Der Altenheimblogger hat ein Posting über seinen neuen Praktikanten verfaßt, der Atheist ist. Der 17jährige Praktikant sollte einer schreienden Frau, die sich dadurch beruhigt, einen Rosenkranz geben und weigerte sich mit Hinweis auf seine atheistische Einstellung.

Wer beim Altenheimblogger regelmäßig liest, was ich unbedingt empfehle (siehe Blogroll), weiß, daß es sich um ein katholisches Altenheim handelt. Von daher muß auch ein atheistischer Praktikant damit rechnen, daß das Thema Religion in unterschiedlicher Ausprägung auf ihn zukommen wird. Er kann erwarten, daß seine Weltanschauung respektiert wird und er nicht mit unerwünschten Missionierungsversuchen attackiert wird. Andererseits kann von ihm erwartet werden, daß er mit den religiösen und spirituellen Bedürfnissen der Bewohner respektvoll umgeht.

Ich habe in den letzten Jahren ganz unterschiedliche Erfahrungen mit diesem Thema gemacht. Als ich einen Heimplatz für meine Mutter suchte, habe ich ein evangelisches Heim, das von Diakonissen geführt wurde, angeschaut, das mir ganz gut gefallen hat. Neben einem breiten Angebot an medizinischen, pflegerischen, kulturellen und sozialen Angebot, gab es auch gottesdienstliche Veranstaltungen und Seelsorge, also Einzelgespräche mit dem Heimpfarrer oder Schwestern auf Wunsch. Für meine Mutter war in ihrem Erwachsenenleben Religion kein Thema, von daher war mir dieser Bereich bei der Suche eines Heimplatzes nicht wichtig. Aus unterschiedlichen Gründen fiel dieses Heim dann doch aus meiner engeren Auswahl. Einige Monate später lernte ich einen Altenpfleger kennen, der in diesem Haus gelernt hatte. Er erzählte mir, daß der Sonntagsgottesdienst in alle Räume übertragen wurde. Ich fragte nach, ob er tatsächliche meinte, was ich verstand: In jedem Zimmer und in allen Gemeinschaftsräumen war Gottesdienst angesagt, und man mußte sich das anhören, ob man wollte oder nicht. Er bestätigte das mit den Worten: „Das Klo war der einzige Ort, wo man sich entziehen konnte. Sogar auf den Fluren hat man es gehört“. Eine solche religiöse Vereinnahmung finde ich völlig daneben. Schön, wenn es so ein Angebot gibt für alle, die sich dafür interessieren, aber Gottesdienst als Zwangsveranstaltung darf nicht sein.

In guten Heimen wird erhoben, was für den Bewohner von Bedeutung ist, wie er seinen Tag gestaltet, welchen Beruf er hatte, welche Freizeitaktivitäten und Interessen er pflegt, wie seine Essensgewohnheiten sind, aber auch, ob Religion für ihn wichtig ist und wie seine spirituellen Bedürfnisse sind. Und so wie ich von Mitarbeitenden erwarte, daß sie die Bewegungsfähigkeit fördern, auf Essenswünsche eingehen und pflegerisch kompetent arbeiten, so finde ich es wichtig, daß auch auf spirituelle Bedürfnisse eingegangen wird.

Im ersten Heim, in dem meine Mutter lebte, hatte sie einen Mitbewohner, der in der evangelischen Kirche jahrzehntelang sehr engagiert gewesen war. Auch die meisten anderen Bewohner der Wohngruppe waren evangelisch. Abends gab es nach dem Essen ein Abschlußritual für die Bewohner mit Abendlied und Vaterunser, das ich hier beschrieben habe. Für mein Empfinden war das für die Bewohner dieser Gruppe und die Mitarbeitenden stimmig. Zur Wohngruppe, in der meine Mutter jetzt lebt, würde das nicht passen, denn dort leben vorwiegend Leute aus der ehemaligen DDR, für die Religion oft nicht wichtig ist.

Im alten Weblog habe ich auch einige Gedankensplitter und Erlebnisse rund um das Thema Religion und Spiritualität beschrieben. In dem Haus, in dem meine Mutter jetzt lebt, wird von einem freien Träger geführt. Es gibt unterschiedliche spitituelle Angebote: Feste werden gefeiert, einmal monatlich gibt es in der Kirche einen Gottesdienst für Demenzkranke, der Pfarrer besucht die Bewohner, die das wünschen. Es gibt noch ein spezielles Besuchsprogramm, weil das Heim Praktikumsort für Studierende der evangelischen Fachhochschule ist, die sich mit dem Themenbereich „Seelsorge an Demenzkranken“ spezieller beschäftigen wollen.

Gottesdienst, Demenz, Alzheimer

Astscheibe

Das Konzept für die Gottesdienste hat der Pfarrer mit dem Sozialarbeiter des Heimes und der Heilpädagogin erarbeitet. Ganz wichtig ist, daß er in der Kirche stattfindet und im Normalfall nicht in einem Gemeinschaftsraum, denn das sinnliche Erleben und die Anknüpfung an frühere Erinnerungen sind ganz wichtig: Die Wahrnehmung des Kirchenraums, das Licht, der Geruch, die Gesamtatmosphäre, die Orgelklänge – all das ist ganz wichtig für dementiell veränderte Menschen. Das Gesamtthema eines jeden Gottesdienstes nimmt ein Lebensthema auf, wie zum Beispiel: Vom Aufgang der Sonne … oder wie ein Baum gepflanzt am Wasser ….

Bibel, Demenz, Alzheimer, Gottesdienst, Seelsorge, Gespräch, Gruppenarbeit, Arbeitshilfe

Getröstet und geborgen

Auch eine Bibel für dementiell veränderte Menschen gibt es inzwischen. Für Angehörige und Mitarbeiterinnen in Pflegeheimen gibt es dazu noch eine Arbeitshilfe mit vielen wertvollen Hinweisen. Im Bereich der theologischen Forschung ist Demenz zunehmend ein Thema. Das alles finde ich sehr ermutigend. Was aber jeweils im Heimalltag praktiziert wird, hängt von der Sensibilität und der Bereitschaft der Mitarbeitenden ab, auf diesen Lebensbereich einzugehen auch wenn es für sie in ihrem persönlichen Leben keine oder wenig Bedeutung hat. Eine einfühlsame Mitarbeiterin hat für meine Mutter in der örtlichen Bibliothek ein evangelisches Gesangbuch organisiert. Im Moment ist in diesem Bereich sehr viel im Fluß.

Zum Weiterlesen: Spiritualität – ein Thema für die Pflege von Menschen mit Demenz (eine Arbeitshilfe vom Demenz-Support Stuttgart, 68 Seiten, unterstützt vom Bundesministerium für Jugend, Frauen, Familie und Senioren)