Schwul und dement – wohin?

Ein Freund, Anfang 70 ist schwul und dement. Er braucht einen Platz in einem Pflegeheim. Natürlich gelten für die Suche nach einem guten Heim die Kriterien, die ich bereits im Blogpost “ Wie finde ich ein gutes Pflegeheim?“ beschrieben habe. Dazu kommt noch der Anspruch, einen Ort zu finden, an dem er sich als homosexueller Mann wohlfühlt und weder von Mitarbeitenden noch von Mitbewohnern diskriminiert wird.

Ein Freund schlug mir vor, beim Lebensort Vielfalt der Schwulenberatung in Berlin das Frühstück am Mittwochmorgen zu besuchen und dort mit einem Sozialarbeiter meine Fragen zu besprechen. Das klappte ganz unerwartet sofort auf Anhieb. Mein Anliegen wurde sofort verstanden. Die Schwulenberatung hat in Berlin bereits eine breite Infrastruktur aufgebaut. Es gäbe sogar eine Demenz-WG, aber derzeit sind alle Plätze besetzt.

Der Sozialarbeiter bot an, im Büro nachzufragen, welche anderen Pflegeheime oder Demenz-WGs als LGBT-freundlich zertifiziert sind. Ich war erstaunt, zu hören, daß es eine solche Zertifizierung überhaupt gibt. Und für Berlin mit den vielen Menschen, die zur LGBT-Community gehören ist das eine Superidee.

Der Sozialarbeiter ging also ins Büro und kam zurück mit einer einzigen Adresse außerhalb der LGBT-Infrastruktur. Ich war verblüfft, denn ich hatte mehr erwartet. Noch verblüffter war ich, als ich erfaßte, daß das genannte Heim unter der Trägerschaft der Immanual-Diakonie arbeitet, denn das ist der Dachverband der evangelisch-freikirchlichen Gemeinden, im Volksmund eher als „Baptisten“ bekannt.

Das Logo auf der Internetseite sieht folgendermaßen aus:

und drunter steht: Wir leben Vielfalt

Die Website ist hier  zu finden.

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Elf Jahre Alzheimer-Blog

Vor elf Jahren habe ich das Alzheimer-Blog begonnen erst auf myblog und zwar mit einem Eintrag über die Fahrt nach Berlin. In dieser Zeit gab es 557 Blogposts undmehr als 150 000  Seitenaufrufe bei myblog sowie 213 Postings mehr als 135 000  Seitenaufrufe bei wordpress. 2014 wurde es für den Grimme-Online-Award in der Kategorie Information nominiert.

Hier nun der erste Eintrag, in dem ich erzähle, wie ich meine Mutter aus der Gerontopsychiatrie abhole um sie nach Berlin zu holen, weil sie nicht mehr allein in ihrer Wohnung sein kann. Warum dieser erste Eintrag nicht mehr sichtbar ist, kann ich nicht nachvollziehen:

16. Juni 2005

Jetzt ist diese Berlin-Fahrt, vor der mir so graute, schon wieder eine Woche her. Welche Komplikationen würden unterwegs auftreten, wenn Mama merkt, daß ich sie nach Berlin hole? Sie will nach wie vor in ihre Wohnung zurück. Aber es lief alles ganz anders als erwartet.

Am Freitag bin ich ganz früh zu meiner Mutter geflogen mit meinem Freund. Vormittags war ich noch beim Vormundschaftsgericht um den Betreuerausweis abzuholen. Dabei habe ich erfahren, daß ich eine richterliche Genehmigung brauche um die Wohnung meiner Mutter kündigen zu können – auch wenn im Betreuerausweis als Zuständigkeit „Wohnungsangelegenheiten“ angegeben sind.
Danach sind wir in die Wohnung und haben Kleidung und Andenken zusammengepackt. Ich traf einen Nachbarn, der mir noch einiges, was in der letzten Zeit vor dem Krankenhausaufenthalt passiert ist, erzählt hat.

Sie hat den Mitarbeitern vom ambulanten Pflegedienst einmal sogar die Ravioli hinterher geschmissen, die dann im Flur an der Wand klebten. Am nächsten Tag hat sie dann die Nachbarin beschimpft, was das für eine Sauerei in diesem Haus ist. Das brauche man sich doch nicht bieten zu lassen. Die Nachbarin meinte: „Diese Sauerei haben Sie gestern gemacht – und die machen Sie auch wieder weg“ – was meine Mutter dann auch tat.

Nachmittags kam dann eine Freundin mit Auto und wir sind ins Bezirkskrankenhaus gefahren. Ma hatte Beruhigungsmittel bekommen. Als ich ihr sagte, daß ich sie abholen komme, meinte sie: „Und wohin“. Ich: „Ich möchte Dich nach Berlin mitnehmen“. Da wollte sie nicht hin. Sie ging davon aus, dass sie in ihre Wohnung zurückkommt.

Ich: „Da können wir auch hinfahren. Gaby und Günter sind da und warten draußen mit dem Auto“. Die Schwestern haben mir Medikamente für das Wochenende und für notfalls während der Fahrt mitgegeben. Es war eine größere Aktion bis wir sie auf dem Rücksitz untergebracht hatten (zweitüriges Auto). Sie fährt wahnsinnig gern Auto und die erste Zeit ging es auch ganz gut mit: „Wir hatten einen Stau … die vielen Baustellen“ etc. Wir hatten nur eine Pause an einer Autobahn-Raststätte.
Glücklicherweise war es kein Problem mit dem Behindertenklo. Sie sagte dann zu mir: „Ich verstehe gar nicht, wie wir in die Lage gekommen sind“. Wir fuhren dann mit dem Aufzug hoch und ich ließ sie bei Günter und Gabi und brachte den Schlüssel zum Behindertenklo zurück. Als ich bei den anderen war, wollte ich Ma beim Einsteigen helfen und faßte sie an der Schulter an. Da meinte sie ziemlich scharf: „Fassen Sie mich nicht an – ich mag das nicht“.

Ich war wie vom Donner gerührt und sehr erschüttert. Am Telefon hatte ich es schon gelegentlich nachts erlebt, daß sie mich nicht mehr erkannte und als ihre Schwester ansprach. Natürlich wußte ich, daß sie mich eines Tages nicht mehr erkennen wird. Aber das erste Mal live erleben, daß sie mich für eine Fremde hält, war schon fürchterlich.

Nach etwa 6stündiger Fahrt waren wir dann um 1.00 h in Berlin. Das Heim nimmt um diese Zeit nicht mehr auf. Nun stand der schwierigste Teil der Aktion vor uns: Ma in die Wohnung zu bringen. Ich wohne im zweiten Stock eines Altbaus ohne Lift und für Ma, deren Wohnung im dritten Stock ohne Lift ist, ist das Treppensteigen eine Quälerei. Aber Günter hat es mit ihr geschafft mit Lieder singen („jeden Tag ist kein Sonntag“ und „wenn der liebe Gott nicht will geht gar nichts“). Ich wußte gar nicht, dass sie diese Lieder kann. Sie hatte sogar mehr Text drauf als Günter. Wahrscheinlich haben die restlichen Hausbewohner gedacht, daß da einige angetrunken unterwegs sind.

Wir waren alle sehr k.o. Ich half Ma ins Bett. In dieser Nacht habe ich nur zwei Stunden geschlafen. Sie hat etwas mehr geschlafen und meinte, ich soll das Gewicht, das auf ihren Knien ist, wegtun. Es tut ihr weh – sie habe solche Schmerzen.
Erschütternd war – als sie in einer ihrer Wachphasen sagte:
„Wenn ich nur wüßte wie ich an Tabletten komme … dann würde ich dem allen ein Ende machen … Was bin ich für ein armer Hund … das wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht … Ich habe keine Wohnung mehr … ich habe kein eigenes Zimmer und ich habe nicht einmal ein eigenes Bett mehr“.
Sie beschimpfte mich dann, dass ich sie in diese Situation gebracht hätte.

Und ein paar Minuten später: „Du tust mir so leid, daß Du soviel Arbeit mit mir hast. Du bist das beste Kind, das man sich vorstellen kann. Wenn ich Dich nicht hätte“…

Ich habe sie dreimal aufs Klo gebracht und dreimal ein neues Nachthemd angezogen. Am Morgen wollte sie mich dann ununterbrochen um sich haben. Das schien sie für ihr Sicherheitsgefühl zu brauchen. Sie hat mich dermaßen beschäftigt und auf Trab gehalten, daß ich verstanden habe, warum der Stationsarzt auf der Gerontopsychiatrie gemeint hat, man könne sie zuhause nicht pflegen sondern nur im Rahmen einer Einrichtung.

Am Vormittag sagten wir ihr dann, daß wir Medikamente gegen ihre Schmerzen bräuchten und sie da dabei sein müßte. Die Treppen abwärts war noch härter als aufwärts. Wir sind dann zum Heim gefahren und sehr nett empfangen worden. Als wir in die Wohngruppe kamen, war gerade frischer Streusselkuchen gebacken worden.

Am Samstagabend kam dann ein Anruf, dass sie mit ihr unterwegs ins Krankenhaus sind, weil sie gestürzt ist. Sie mußte genäht werden. Sie ist aus ihrem Bett aufgestanden und dann hingefallen. Ich war froh, daß es dort passiert ist und nicht bei mir zuhause. Schon irre: Wir bewegen sie 2 Etagen rauf und runter – bei mir gibt es Türschwellen und dort stürzt sie.Als ich gestern da war, fragte ich sie, wie denn das mit der Stirn (da hat sie ein Pflaster) passiert ist. Sie: „Die haben mich hingeschmissen – aber das werden sie nicht zugeben“.

Wahrscheinlich kann sie den Kontrollverlust nicht wahrhaben, und deshalb waren es „die anderen“, die ihr das getan haben.
Am Sonntag ließ sie sich duschen und die Fingernägel schneiden – ein gutes Zeichen. Mit der Berliner Schnauze scheint sie ganz gut klarzukommen. Am Abend habe ich sie kurz besucht und Kleidung vorbeigebracht. Ich kam ins Wohnzimmer, wo alle Bewohner um den Eßtisch saßen. Sie verspeiste mopsfidel Leberwurstbrote.

Wir gingen dann ins Zimmer, wo sie sich hinlegte. Zum Essen meinte sie, daß ihr der Fraß nicht schmeckt. Es hätte nur „so einen Batz“ gegeben

Die nächsten Einträge kann man dann chronologisch ab hier nachlesen.

 

Eckhart von Hirschhausen im Altersheim

Drei Tage zog der Arzt und Kabarettist Eckhart von Hirschhausen ins Altersheim. Was er dort erlebte hat seine Sicht aufs Älterwerden grundlegend verändert. Darüber hat er einen Artikel im Stern geschrieben, der seit vorgestern auch online zu lesen ist.

Wohin wollen wir denn?

Unter diesem doppeldeutigen Titel beschreibt Juliane Schiemenz  in der Juliausgabe 2015 von Chrismon das Wechselbad der Gefühle, das damit verbunden ist, den demenzkranken Vater nicht mehr zuhause versorgen zu können sondern ins Pflegeheim bringen zu müssen.  Der Artikel ist hier zu finden.

Im Demenz-für-Anfänger-Blog beschreibt die Verfasserin im Rückblick, wie der Übergang vom eigenen Haus ins Pflegeheim für ihre Großmutter war. Vernunfttrunken heißt der Artikel.

 

 

Leben in vertrauten Bahnen

In den letzten Jahren wurde das niederländische Demenzdorf de Hogeweyk immer populärer. In der Nähe von Alzey wurde eine ähnliche Einrichtung geplant. Nun gibt es bei Hameln einen Ort für dementiell veränderte Menschen, der vom niederländischen Vorbild inspiriert ist. Die taz hat gestern einen Artikel darüber veröffentlicht, der inzwischen auch online zugänglich ist. Seit März 2014 ist die Einrichtung im Aufbau.

„Tönebön liegt am Stadtrand, ohne öffentliche Verkehrsanbindung. Natürlich sei sie für Inklusion, „aber bei Demenzkranken stößt sie an ihre Grenzen“ sagt die für das Qualitätsmanagement zuständige Mitarbeiterin. Und genau das ist mein Kritikpunkt an der Einrichtung von Hameln, denn das macht es schwierig, die Welt ins Heim zu holen.

In Mamas Heim gab es eine ganze Reihe von Aktivitäten, die – vorwiegend – von Einzelpersonen angeboten wurden, die im Umfeld des Heimes lebten oder von Menschen, die früher einen Angehörigen im Heim hatten. Bei der Suche nach einen Heimplatz hätte ich mir nie vorstellen können (und wußte auch gar nichts davon), welche emotionale Bedeutung es für die BewohnerINNEN hat, daß Menschen von draußen kommen und mit ihnen Zeit verbringen und das tun, was sie gut können. Das wird schwieriger, weil die Hürde höher ist, wenn ein Auto vorhanden sein muß um ins Heim zu gelangen. Das gilt natürlich auch für Angehörige, die keinen Führerschein bzw. kein Auto zur Verfügung haben.

Ich denke an Herrn G., der fünf Jahre lang jeden Freitag mit seinem schwarzen Hund Largo ins Heim kam. Largos Besuche waren Höhepunkte im Leben meiner Mutter. Sie hat ihn schmerzlich vermißt, wenn er krank oder im Urlaub war oder die Besuche nicht stattfinden konnten, weil wegen einer Infektionskrankheit gruppenübergreifende Aktivitäten gestrichen waren. Largo war ein Therapiehund, dessen 2jährige Ausbildung Herr G. aus eigener Tasche finanziert hat. Da Herr G. ein sehr zurückhaltender Zeitgenosse war, kam die Heilpädagogin mit und moderierte die Besuche.Außer Largo und Herrn G. gab es noch zwei weitere Therapiehundeteams, wobei ein Hundeteam auf Liegendkranke spezialisiert war.

Ich denke an Ehepaar X und Frau Z, die das “Kaffeestübchen” organisierten, das ich oft mit meiner Mutter besucht habe. Das Kaffeestübchen war ein Raum, der im Stil eines Cafes der 50iger und 60iger Jahre eingerichtet war bis hin zum Geschirr. Am Dienstag- und Freitagnachmittag wurde es geöffnet. Freitag war Ehepaar X dran, die stets mit mehreren selbst gebackenen Kuchen anrückten. Dienstags war Frau Z. dran, an die ich keine genauere Erinnerung habe.

Ich denke an Herrn L., einen musikalischen Menschen, der alle zwei Wochen an einem bestimmten Nachmittag mit seinem Akkordeon kam und in verschiedenen Gruppen Schlager vorspielte.

Ich denke an die Absolventen der Regieklasse der Filmhochschule Potsdam unter der Leitung von Volker Koepp. Manche kennen ihn vielleicht von seinem Film “Herr Zwilling und Frau Zuckermann”. Sein großes Thema ist die Veränderung von Menschen und Landschaften in den Kulturlandschaften Osteuropas. Drei Studierende seiner Regieklasse haben als Abschlußprojekt einen Film mit und über einige Heimbewohner gemacht, der mich tief beeindruckt hat. Mama kam nur in einer kurzen Sequenz vor, die etwa eine halbe Minute dauerte. Aber in dieser halben Minute habe ich eine Seite an ihr entdeckt, die mir vorher verborgen geblieben war. Der Film kam mir vor wie eine Landschaftsstudie über das “Alzheimerland”.

Ich denke an die Kinder der Hortgruppe der nahe gelegenen Kindertagestätte, de immer wieder Mamas Wohngruppe besuchten, Bilder malten, Oster- und Weihnachtsgrüße schickten und auf ganz unterschiedliche Art und Weise Farbtupfer in den Alltag der Wohngruppe brachten.

Ich denke an die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der evangelischen Kirchengemeinde, die einmal monatlich schon eine Stunde vor Gottesdienstbeginn in die Wohngruppen kamen und zum Gottesdienst einluden. In der Kirche waren sie immer freundlich und zugewandt und unterstützen, wenn jemand Hilfe brauchte.

Ich denke an Pfarrer B., der für meine Mutter ganz wichtig wurde. Vor ihrem Heimleben hat sie ein einziges Mal eine evangelische Kirche betreten, weil sie zu einer Konfirmation eingeladen war. An den monatlichen Gottesdiensten für Demenzkranke in der kleinen Dorfkirche nahm sie mit großer Begeisterung regelmässig teil – auch an dem einen oder anderen Kirchenkonzert. Sie bat mich, ihn zu fragen, ob er sic nicht besuchen könnte. Das hat er bis zu ihrem Tod getan und zum Geburtstag den ein oder anderen Bildband mit persönlicher Widmung vorbei gebracht (Mama Orginalton: “Der Herr Pfarrer hat eine Sauklaue”)

Vielleicht habe ich die eine oder andere Aktivität nicht mehr im Blick. Mamas Heim 2 gehörte zu den ersten Einrichtungen, die sogenannte “Alltagsbeigleiter” gewonnen und ausgebildet haben: Menschen – meist Frauen – der Altergruppe 55plus, die nach einer längeren Schulung mehrmals wöchentlich Aktivitäten mit den Bewohnern gestaltet haben wie etwa ein Kochgruppe. Gerne erinnere ich mich an die Samstagnachmittage im Sommer, wenn sie mit dem einen oder anderen Hauptamtlichen im Garten des Heimes ein Eiscafe im Stil der 60iger Jahre betrieben: Schokobecher, Schwedenbecher oder Banana-Split waren auf der Eiskarte als Fotos abgebildet und laminiert (welchen Eisbecher möchten Sie denn heute, Frau S.?).

Das Leben im Heim wäre sehr viel ärmer gewesen, wenn einige dieser Aktivitäten nicht stattfinden hätten können, weil das Haus nicht öffentlich erreichbar gewesen wäre.

Wie Pflegekonzerne durch Ambulantisierung Kasse machen

Letzte Woche habe ich ein neues Wort gelernt: „Ambulantisierung der Pflege“. Ein Beitrag in der Sendung Report Mainz informierte über einen neuen Trend, der im Zusammenhang mit der Pflegereform zu sehen ist.

Die Politik will damit eigentlich unterstützen, daß Menschen, die ihre pflegebedürftigen Angehörigen zuhause versorgen finanziell etwas besser gestellt werden und etwas mehr finanzielle Spielräume haben als das bisher der Fall ist. Wenn man sieht, wie hoch die Beträge sind, die ein Pflegeplatz in einem Heim kostet und welche Kosten die pflegenden Angehörigen einsparen helfen, dann kommt diese finanzielle Besserstellung sicher nicht zu früh.

Aber da gibt es gleich andere, die auf diesen Zug aufspringen und profitieren, obwohl sie gar nicht die eigentlichen Adressaten dieser Neuerung sind. Im Fernsehbeitrag wird eine alte Dame mit ihrer Tochter gezeigt. Bis jetzt hat sie ein Zimmer in einem Pflegeheim bewohnt. Von einem Tag auf den anderen hat der Betreiber des Heimes – eine bundesweit tätige Kette – in das Zimmer eine kleine Küchenzeile gestellt: Herd, Spüle, Kühlschrank. Die alte Dame benötigt das nicht. Mit ihr und ihrer Tochter wurde nicht darüber gesprochen. Das neue Möbel steht ungenutzt herum und beansprucht nur Platz.

Für die Bewohnerin hat die Küchenzeile keinen Nutzen, für den Heimträger schon: Jetzt ist nämlich aus dem Zimmer im Pflegeheim ein „Apartment“ geworden, und im Erdgeschoß des Hauses befindet sich nun ein „ambulanter Pflegedienst“, bei dem die Mitarbeitenden, die die Menschen in den Pflegeapartments versorgen, angestellt sind. Für die Heimbewohner hat sich – außer der Küchenzeile – nichts geändert. Es gibt keinen Mehrwert für sie. Alles ist wie vorher nur das Heim kann mit den Pflegeapartments mehr Geld abrechnen als vorher. Von über drei Milliarden Euro ist in der Sendung die Rede, die das an Mehrkosten für das Gesundheitswesen voraussichtlich bringt.

Den Beitrag kann man hier anschauen.

Heimleben rückwärts

Als Mama ziemlich genau vor neun Jahren – im Juni 2005 – in Heim1 einzog, war mir nicht bewußt, wie wichtig für die Lebensqualität im Heim die Kontakte zur Außenwelt sind: Daß Menschen von draußen, die nicht Angehörige und nicht Angestellte des Heimträgers sind, „die Welt ins Heim bringen“ – wie es die Leiterin von Heim2 nannte, in das Mama nach 1 1/4 Jahren umzog und wo sie fast fünf Jahre bis zu ihrem Tod lebte.

Im Heim2 gab es unterschiedliche Gruppenaktivitäten die von den Mitarbeitenden der Wohngruppe im Alltag gestaltet wurden (Kuchenbacken, Spiele …). Dann gab es Aktivitäten, zu denen eine Mitarbeiterin ein bis zwei Mal pro Woche in die Gruppe kam, wie etwa Bewegungsspiele am Tisch oder Beschäftigungsangebote mit unterschiedlichen kreativen Materialien.

Dazu gab es unterschiedliche gruppenübergreifende Angebote von Mitarbeitern des Hauses oder externen Fachkräften: Gartengruppe, Sportgruppe, Heimzeitung, Singgruppe, Kunstgruppe, Tierbauernhofbesuchsgruppe, Monatliches Kaffeetrinken der Geburtstagskinder, Märchengruppe …

Beschäftigungsangebot

Beschäftigungsangebot

Mama hat über Jahre nie am Bastel- und Beschäftigungsangebot in der Wohngruppe teilgenommen. Sie saß immer dabei und kommentierte das Tun der anderen. Frau Erika bot ihr immer wieder etwas eigenes an. So brachte sie einmal Kräuter aus dem eigenen Garten zum Riechen und Schmecken für Mama mit. Die beiden identifizierten die Kräuter und sprachen darüber: Als ich später Frau Erika fragte, meinte sie: „Ihre Mutter hat auch ein Recht auf ein Beschäftigungsangebot. Wenn sie nicht basteln, malen, kneten, stricken oder was auch immer mag, dann müssen wir etwas anderes finden, was sie anregt. In der letzten Woche ihres Lebens hat Mama dann zum ersten Mal einen Baum (aus-)gemalt.  (siehe Bild links).

Und dann gab es noch eine ganze Reihe von Aktivitäten, die – vorwiegend – von Einzelpersonen angeboten wurden, die im Umfeld des Heimes lebten oder von Menschen, die früher einen Angehörigen im Heim hatten. Bei der Suche nach einen Heimplatz hätte ich mir nie vorstellen können (und wußte auch gar nichts davon), welche emotionale Bedeutung es für die BewohnerINNEN hat, daß Menschen von draußen kommen und mit ihnen Zeit verbringen und das tun, was sie gut können.

Ich denke an Herrn G., der fünf Jahre lang jeden Freitag mit seinem schwarzen Hund Largo ins Heim kam. Largos Besuche waren Höhepunkte im Leben meiner Mutter. Sie hat ihn schmerzlich vermißt, wenn er krank oder im Urlaub war oder die Besuche nicht stattfinden konnten, weil wegen einer Infektionskrankheit gruppenübergreifende Aktivitäten gestrichen waren. Largo war ein Therapiehun, dessen 2jährige Ausbildung Herr G. aus eigener Tasche finanziert hat. Da Herr G. ein sehr zurückhaltender Zeitgenosse war, kam die Heilpädagogin mit und moderierte die Besuche.Außer Largo und Herrn G. gab es noch zwei weitere Therapiehundeteams, wobei ein Hundeteam auf Liegendkranke spezialisiert war.

Ich denke an Ehepaar X und Frau Z, die das „Kaffeestübchen“ organisierten, das ich oft mit meiner Mutter besucht habe. Das Kaffeestübchen war ein Raum, der im Stil eines Cafes der 50iger und 60iger Jahre eingerichtet war bis hin zum Geschirr. Am Dienstag- und Freitagnachmittag wurde es geöfnet. Freitagw war Ehepaar X dran, die stets mit mehreren selbst gebackenen Kuchen anrückten. Dienstags war Frau Z. dran, an die ich keine genauere Erinnerung habe.

Ich denke an Herrn L., einen musikalischen Menschen, der alle zwei Wochen an einem bestimmten Nachmittag mit seinem Akkordeon kam und in verschiedenen Gruppen Schlager vorspielte.

Ich denke an die Absolventen der Regieklasse der Filmhochschule Potsdam unter der Leitung von Volker Koepp. Manche kennen ihn vielleicht von seinem Film „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“. Sein großes Thema ist die Veränderung von Menschen und Landschaften in den Kulturlandschaften Osteuropas. Drei Studierende seiner Regieklasse haben als Abschlußprojekt einen Film mit und über einige Heimbewohner gemacht, der mich tief beeindruckt hat. Mama kam nur in einer kurzen Sequenz vor, die etwa eine halbe Minute dauerte. Aber in dieser halben Minute habe ich eine Seite an ihr entdeckt, die mir vorher verborgen geblieben war. Der Film kam mir vor wie eine Landschaftsstudie über das „Alzheimerland“.

Ich denke an die Kinder der Hortgruppe der nahe gelegenen Kindertagestätte, de immer wieder Mamas Wohngruppe besuchten, Bilder malten, Oster- und Weihnachtsgrüße schickten und auf ganz unterschiedliche Art und Weise Farbtupfer in den Alltag der Wohngruppe brachten.

Ich denke an die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der evangelischen Kirchengemeinde, die einmal monatlich schon eine Stunde vor Gottesdienstbeginn in die Wohngruppen kamen und zum Gottesdienst einluden. In der Kirche waren sie immer freundlich und zugewandt und unterstützen, wenn jemand Hilfe brauchte.

Ich denke an Pfarrer B., der für meine Mutter ganz wichtig wurde. Vor ihrem Heimleben hat sie ein einziges Mal eine evangelische Kirche betreten, weil sie zu einer Konfirmation eingeladen war. An den monatlichen Gottesdiensten für Demenzkranke in der kleinen Dorfkirche nahm sie mit großer Begeisterung regelmässig teil – auch an dem einen oder anderen Kirchenkonzert. Sie bat mich, ihn zu fragen, ob er sic nicht besuchen könnte. Das hat er bis zu ihrem Tod getan und zum Geburtstag den ein oder anderen Bildband mit persönlicher Widmung vorbei gebracht (Mama Orginalton: „Der Herr Pfarrer hat eine Sauklaue“)

Vielleicht habe ich die eine oder andere Aktivität nicht mehr im Blick. Und niemand sage mir, daß das zu viel kostet und nur in Seniorenresidenzen möglich ist. Mamas Heim2 war im mittlerein Preissegment angesiedelt. Es ist eine Frage von Phantasie und guten Willen verbunden mit der Bereitschaft Menschen von draußen mit ihren Fähigkeiten in den Heimalltag zu holen, sie zu ermutigen und zu begleiten.

Mamas Heim2 gehörte zu den ersten Einrichtungen, die sogenannte „Alltagsbeigleiter“ gewonnen und ausgebildet haben: Menschen – meist Frauen – der Altergruppe 55plus, die nach einer längeren Schulung mehrmals wöchentlich Aktivitäten mit den Bewohnern gestaltet haben wie etwa ein Kochgruppe. Gerne erinnere ich mich an die Samstagnachmittage im Sommer, wenn sie mit dem einen oder anderen Hauptamtlichen im Garten des Heimes ein Eiscafe im Stil der 60iger Jahre betrieben: Schokobecher, Schwedenbecher oder Banana-Split waren auf der Eiskarte als Fotos abgebildet und laminiert (welchen Eisbecher möchten Sie denn heute, Frau S.?).

Das größte Kompliment, das ich Mamas Heim machen kann: Wenn ich selbst an Demenz erkranken würde, dann wäre ein solches Haus, wie ich es in dieser Zeit erlebt habe, der Ort an dem ich leben möchte.

Nichts Negatives? Doch – es gibt überall Dinge, die nicht optimal sin. Das einzige, was aus meiner Sicht rückblickend bei meiner Mutter nicht besonders gut lief, war die Krankengymnastik. Darüber schreibe ich einen eigen Beitrag. Und für ein paar Wochen gab es einen Wohngruppenleiter, den ich nicht besonders toll fand. Aber der war auch nur ein paar Wochen da.

Neues Urteil zum Elternunterhalt

Welche Kosten kommen auf mich zu, wenn die Eltern ins Heim müssen und das von den eigenen Einkünften nicht finanzieren können? Das ist eine häufige Frage von erwachsenen Kindern, die dazu noch häufig in einer Sandwichposition sind: Sie finanzieren bereits die Ausbildung des eigenen Nachwuchses und dann kann ein Elternteil möglicherweise nicht mehr zuhause leben. Wie ist das dann mit dem eigenen Haus oder einer Eigentumswohnung? Der BGH hat nun in einem Urteil die Position der erwachsenen Kinder gestärkt.

Ein Eigenheim gilt nicht zwangsläufig als Vermögen, das für den Unterhalt pflegebedürftiger Eltern verwendet werden muss – so entschied es der BGH. Grundsätzlich sind Verwandte gerader Linie aber zum Unterhalt verpflichtet. Mehr dazu auf der Seite von Tagesschau.de:  http://www.tagesschau.de/inland/bgh210.html