Welttag der Suizidprävention

Seit 10 Jahren gibt es ihn: Den Welttag der Suizidprävention, der am 10. September begangen wird. Deshalb hat die heutige Ausgabe der taz sich dem Thema „Suizid bei alten Menschen“ gewidmet. Mehr als 10 000 Menschen sterben jedes Jahr durch Selbsttötung. Der Anteil der Menschen über 65 ist ein sehr hoher, und er steigt, weil der Anteil der Senioren an der Gesamtbevölkerung steigt.

In der Printausgabe der taz ist der Artikel nicht bebildert. Die Überschrift ist etwas reißerisch geraten: „Lieber tot als im Pflegeheim„. In der Online-Ausgabe hat die taz folgende Bebilderung gewählt:

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Im Artikel heißt es, daß auch die Medien zu der Steigung der Suizidraten unter alten Menschen beitragen, weil dort das Leben im Heim oft als nicht mehr lebenswert dargestellt wird. Die Auswahl der Illustration des taz-Artikels unterstreicht das eindrücklich.

Man sieht keine Person auf dem Bild, sondern nur Hände, die sich an einem „Galgen“ festhalten. So heißt das Dreieck, mit dem Krankenhausbetten versehen werden, damit sich geschwächte Patienten daran hochziehen können. Dieses Bild eröffnet eine unendliche Projektionsfläche: Niemand da – Einsamkeit – allein gelassen ..

Liebe Bildredakteure: Bitte nachedenken bei der Auswahl der Illustrationen!

Polnische Pflegekräfte und Ausbeutung …

so lautete gestern eine Suchanfrage, die zu diesem Weblog führte. Das machte mich neugierig und ich gab diese Kombination meinerseits ein um herauszufinden, was darunter zu finden ist. Natürlich sind Pflegekräfte Haushaltshilfen gemeint. Und seit längerer Zeit gibt es die Möglichkeit, polnische Kräfte legal einzustellen. Ich bin tatsächlich auf eine Agentur gestossen, die sich von jeglicher Form der illegalen Arbeit polnischer Pflegerinnen distanziert.

Wenn man eine polnische Pflegekraft oder Haushaltshilfe legal anstellt d.h. für sie werden im Heimatland Krankenversicherungsbeiträge, Sozialversicherungsbeiträge und Rentenversicherung und Unfallversicherung abgeführt, außerdem wird das Gehaltsniveau im Heimatland – also Polen – herangezogen, dann kostet das je nach Vorqualifikation der betreffenden Person zwischen 1500 und 2400 Euro monatlich.

Dazu sind vom Arbeitgeber die Kosten für Unterkunft und Verpflegung zu tragen und die Kosten für An- und Rückreise. Je nach Fahrtstrecke würden diese zwischen 80 und 200 Euro (für Hin- und Rückfahrt) betragen und alle drei Monate anfallen, weil alle drei Monate eine neue Pflegekraft anreist.

Außerdem wird pro Vertrag eine Bearbeitungsgebühr von etwas über 350 Euro berechnet, das wären 1200 Euro im Jahr für vier Vertragsabschlüsse.

Wenn man einen mittleren Reisekostenwert von 150 Euro zugrunde legt, dann kommt man auf monatliche Aufwendungen zwischen 1666,00 Euro und 2534,00 Euro, wobei die Kosten für Unterkunft und Verpflegung noch nicht eingerechnet sind.

Man geht davon aus, daß 100 000 Pflegebedürftige zuhause versorgt werden. Abgesehen von einer Fernsehdokumentation, in der Familien gezeigt wurden, die eine polnische Pflegekraft legal eingestellt haben und unendlich viel Papierkram damit verbunden war, habe ich noch nie jamanden kennengelernt, der die hier genannten Beträge für eine Pflegekraft aus Osteuropa, egal ob aus Polen, Litauen, Weißrussland oder Rumänien. Mein Eindruck ist vielmehr, daß sich die Herkunftsländer immer weiter nach Osteuropa in die ärmeren Regionen verschieben.

Oma bleibt in Thailand

Vor einem Jahr hat der Filmemacher Wolfgang Luck unterschiedliche Rentner aus Deutschland un der Schweiz aufgesucht und sich von ihren Neuanfängen in Thailand erzählen lassen: die Rentnerin Ute aus Buxtehude, die der Altersarmut in Deutschland entfliehen wollte und in eine Seniorenresidenz zog und anfangs eine Baustelle vorfand, der Rentner Reinhard aus Kiel, der mit einer Thaifrau in einem Appartement zusammenlebt und möchte, daß sie ihn pflegt und die Alzheimerpatientin aus der Schweiz, die in einer Pflegeeinrichtung von M. Wootli lebt und aus Dokumentationen über diese Pflegeeinrichtung in Chiang Mai manchen Fernsehzuschauern schon bekannt sein dürfte. „Oma will nach Thailand“ heißt dieser erste Film.

Nun war Wolfgang Luck wieder in Thailand und hat nachgeschaut, was aus den Dreien geworden ist:
Die äußeren Bedingungen von Ute aus Buxtehude haben sich sehr verbessert. Sie lebt in schöner Umgebung mit Pool und nettem Personal. Sogar eine Masseurin mit Wunderhänden gibt es, die viele von Utes Symptomen zum Verschwinden brachte. Gesundheitlich geht es ihr gut, 20 Kilo hat sie abgenommen, aber glücklich ist sie nicht, denn in der Residenz lebt jeder für sich und das Klima unter den Bewohnern ist frostig. Viel Spielraum hat Ute nicht, weil ihre Finanzen knapp sind. Über das Internet hat sie Kontakt zu anderen deutschen Rentnern gefunden und beschließt mit deren Unterstützung sich noch einmal ein anderes Leben auf eigenen Füssen außerhalb der Residenz aufzubauen.

Reinhard aus Kiel fühlt sich weiterhin wohl in Thailand, und natürlich wollte er anders als andere männliche (Sex-)Touristen von Anfang an was Festes. Mit seiner Partnerin, mit der er sich sprachlich kaum verständigen kann, gibt es Probleme. Die möchte nämlich gern zurück zu ihrer Familie aufs Land. Das würde für Reinhard heißen, daß er den gewohnten Luxus hinter sich läßt. Er entschließt sich zu einer Art „Recherchereise“ und begleitet seine Partnerin beim Besuch ihrer Familie während des buddhistischen Neujahrsfestes.

Die Alzheimer-Patientin aus der Schweiz kann immer noch sprechen. Sie hat lange in englisch sprachigen Ländern gelebt. Immer wieder hat sie Heimweh nach der Schweiz und fragt, wann sie zurückkehren wird. Langsam versucht der Heimleiter ihr zu vermitteln, daß sie auf Dauer in Thailand bleiben wird. Die Beziehung zu ihrer Betreuerin ist sehr innig und sie ist deren Englischlehrerin.

Aus den Lebensgeschichten dieser drei Personen ist ein eindrucksvoller 45minütiger Film mit dem Titel „Oma bleibt in Thailand“ geworden, den man in den nächsten Monaten unter der folgenden URL ansehen kann:
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/videos/minuten593.html

Alzheimer Früherkennung: Das Geschäft mit der Angst

Screenshot Report 13. März 2012

… war der Titel eines Beitrags vom Report-Politmagazin am 13. März 2012. Es begann wieder dramatisch mit „Alzheimer als Kernschmelze der Persönlichkeit“, aber der Rest des Beitrags war seriös recherchiert und gut aufbereitet. Derzeit gibt es Radiologen, die vorgeben durch eine Untersuchung mit bildgebenden Verfahren eine Früherkennung von Alzheimer zu ermöglichen.

Dazu meint Hans Gutzmann, Prof. für Gerontopsychiatrie, St. Hedwig-Kliniken Berlin:
„Alzheimer ist eine Erkrankung, die beginnt mit Gedächtnisstörungen. Radiologen sind nicht die Fachärzte, die als erste Gedächtnisstörungen feststellen, sondern die machen ganz andere Dinge. Und Radiologen spielen bei der Alzheimer-Diagnostik eine Rolle; aber erst nachdem die Klinik erwiesen hat, dass Störungen vorliegen, nicht bevor die Klinik etwas erwiesen hat, das heißt, das ist die falsche Reihenfolge, die da in diesen Maßnahmen, in diesen Präventivmaßnahmen genommen wird, ganz ganz unglücklich, ganz unglücklich.“ (von hier)

Den Beitrag (etwa sechs Minuten) kann man auf der Sendungshomepage anschauen und zwar hier.

Omas neue Polin …

heißt eine halbstündige Dokumentation, die heute 19. November 2011 um 18.02 im rbb gezeigt wird. Im Ankündigungstext zur Sendung heißt es:

Omas neue Polin (Bild zur Dokumentation)

Für Gisela M. stand immer fest: Sie schickt ihre Mutter nicht ins Altersheim. Als es soweit gewesen wäre, gab sie ihre Arbeit als Berufsschullehrerin auf und übernahm die Pflege selbst. Nach zweieinhalb Jahren aber musste sie passen.

In ihrem persönlichen Leben stimmte nichts mehr. Ihre Gesundheit hatte gelitten und ihren Ehemann sah sie kaum noch. Deshalb engagiert Gisela M. für ihre Mutter, die pflegebedürftige, inzwischen 92-jährige Erna Z., eine Betreuerin aus Polen. Für zwei Monate kommt Greta S. nach Caputh (Brandenburg), um in dem kleinen Häuschen der alten Dame im gleichen Raum mit ihr zu schlafen, rund um die Uhr an ihrer Seite zu sein. Bringt die junge, unbekümmerte Polin die erhoffte Entlastung für das Ehepaar M.? Und wie geht es der Oma damit, dass nicht mehr ihre Tochter, sondern eine Fremde bei ihr ist? Wie kommt Greta mit den Erwartungen der Familie zurecht? Der Film zeigt acht Wochen voller Höhen und Tiefen. Dokumentation von Petra Cyrus

Also, lassen Sie mich wiederholen, was ich verstanden habe:

Gisela M. ist mit 60 Jahren als ihre Mutter pflegebedürftig wurde, in den Vorruhestand gegangen. Nach etwas mehr als 2 1/2 Jahren hat die Pflege sie an den Rand ihrer Kräfte gebracht. Ihren Ehemann sieht sie kaum noch. Und nun kommt über eine Agentur Greta für zwei Monate.

Greta, die 28jährige Pflegerin aus Polen, spricht gut deutsch, denn sie hat in Nürnberg Abitur gemacht. Das ist MEHR als man von einer Haushaltshilfe erwarten kann. Es ist auch nicht die erste Familie, in der sie tätig wird, und bevor sie überhaupt in Familien mit alten Menschen arbeitet, hat sie ein halbes Jahr lang ihre alzheimerkranke Oma in einem Dorf in Niederschlesien betreut. Das tut jetzt Gretas Mutter im Wechsel mit Gretas Tante. Greta erhält 1000 Euro im Monat. Dafür ist sie für die Betreuung der Oma und deren Haushalt zuständig. Die Oma wohnt in einem kleinen Häuschen. Auf dem gleichen Grundstück befindet sich ein größeres Haus, in dem Tochter und Schwiegersohn wohnen. Das Ganze läuft über eine Agentur, ist also legal. Dass Greta faktisch mehr als eine „Haushaltshilfe“ ist, lassen wir mal außen vor. Sie schläft mit der Oma im Zimmer, und wenn die Oma nachts raus muß, dann Greta auch. Das kann einmal sein. Das kann siebenmal sein. Greta jedenfalls muß in Bereitschaft sein. 2 bis 3 Stunden täglich hat Greta Freizeit. In den zwei Monaten, die Greta da ist, sind das 1281 Stunden (ein Monat zu 30 einer zu 31 Tagen gerechnet und 21 Stunden Anwesenheit). Das läuft dann auf 1,56 € pro Stunde raus. Ein Aupair darf in Deutschland 30 Wochenstunden eingesetzt werden und bekommt 260 Euro Taschengeld, Sprachkurs und Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr.

Für Familie M. kostet Gretas Einsatz 1900 Euro im Monat sowie freie Kost und Unterkunft. Das geht nur, weil auf die Ersparisse der Oma zurückgegriffen wird. Die 1000 Euro für Greta liegen im Mittelfeld (800 bis 1200 Euro ist das Spektrum). Ich habe die Sendung mit sehr gemischten Gefühlen gesehen: Die junge Polin, die sehr frisch und einfühlam mit der pflegebedürftigen Frau umgegangen ist. Die Tochter, selbst schon in Rente, die genaue Vorgaben machte und der jungen Pflegerin zum Vorwurf machte, daß sie freundlich ihre Arbeit tut, aber nicht mehr. Kann man jemanden vorwerfen, daß er keine familiäre Bindung aufbaut?

Greta hat mich in ihrer Art sehr an die jungen Frauen erinnert, die ich in den letzten Jahren getroffen habe, weil sie in Mamas Heim als Pflegehelferinnen ausgebildet wurden. Und wie muß das sein, so einer Familie ausgeliefert zu sein. Im Gespräch mit der Dokumentarfilmerin wurde deutlich, daß Greta den Job nicht schmeißen kann, wenn er ihr nicht gefällt, denn dann bekommt sie eine Vertragsstrafe. Krankheit wäre ein Grund zum Aussteigen. Und daß von Greta erwartet wird, daß sie bei der pflegebedürftigen Frau im Zimmer schlafen wird / muß, das hat sie erst bei der Ankunft erfahren. Macht ihr nichts aus, sagt sie. Was soll sie unter diesen Bedingungen auch sagen? Und an wen kann Greta sich wenden außerhalb der Familie? Welche sozialen Kontakte gibt es für sie? Einmal fährt sie nach Potsdam. Da wird sie sich vermutlich auch jeden Milchkaffee für 2,80 Euro überlegen. Weil jeden Euro, den sie ausgibt, den bringt sie nicht nach Hause.

Vor dem gemeinsamen Essen wird gebetet. Da sind von einer polnischen Pflegerin im allgemeinen keine Schwierigkeiten zu erwarten. Aber auch das wäre – meiner Ansicht nach ein Punkt, der vorher mitgeteilt werden sollte, damit die Helferin sich darauf einstellen kann.

Und für mich wurden die Verhältnisse nicht klar: Gehört das Grundstück der Oma und Tochter und Schwiegersohn leben auch da?

Ich kann mir nicht helfen: Für mich ist das Ausbeutung und eine moderne Form der Sklaverei.

Ich kenne die Familie M. nicht, aber mir scheint es bei diesen Arrangements ganz häufig so zu sein, daß es um das Thema geht: Unser Erbe muß erhalten bleiben. Mutters / Vaters Haus darf nicht verkauft werden für die Pflegeaufwendungen. Das ist ein Thema der (gehobenen) Mittelschicht. Und da auch die Journalisten, Redakteure etc., die diese Themen in den Medien gelegentlich angehen, dieser Schicht angehören und irgendwann vor dieser Frage stehen werden, wird das weiterhin Tabu bleiben.

Wiederholung:
Donnerstag 12. Jan. 2012 um 22:25 im mdr