„Yemma – Meine Mutter, mein Kind“ heißt Tahar Ben Jellouns bewegende Erzählung von der Alzheimer-Erkrankung seiner Mutter. „Ich habe meiner Mutter zu essen gegeben. Meiner Mutter, meinem Kind. Einen Löffel Milch mit Käse. Wie einem Kind, das mit geschlossenen Augen isst, und meine Hand zittert vor Rührung.“ Der hier seine an Alzheimer erkrankte Mutter füttert, ist Tahar Ben Jelloun. Und das Kind ist Lalla Fatma, seine alte Mutter, die mit einer Pflegerin zurückgezogen in ihrem Haus in Tanger lebt. Mal verwechselt sie ihn mit ihrem vor dreißig Jahren gestorbenen jüngeren Bruder. Dann mit ihrem ältesten Sohn Mustafa aus ihrer ersten Ehe mit fünfzehn. Oder sie sieht in ihm nur den kleinen kranken Tahar, den sie in Fes hätschelte. Oder beklagt sich, dass er sie seit seiner (!) Beerdigung nicht besucht hat. Dazwischen Momente von großer Klarsichtigkeit: Von ihrem Bett aus erinnert sie sich an ihre Jugend, ihre Ehen, die Hochzeitsfeste, die Vorbereitungen im Hamman. Eines Morgens bestellt sie Handwerker, die ihr Haus für die Beerdigung schmücken sollen. Dann wieder lacht sie und schminkt sich für ihre drei (verstorbenen) Ehemänner, die sie zum Essen erwartet. Lalla Fatma bevölkert ihr Haus mit Fantomen, Erinnerungen und Halluzinationen. Doch eines Tages bleiben auch die aus. Sie redet nur noch mit sich, singt leise vor sich hin, sagt nichts mehr. Ihr Blick ist leer. Und der Sohn hält ihre Hand, erzählt ihr von seiner Kindheit mit ihr, ihrer Schönheit als junger Mutter – bis auch diese Hautberührung zuviel ist, ihr unerträgliche Schmerzen bereitet. … so der Klappentext.
Berührend und manchmal bestürzend fand ich so manche der aus einer anderen Kultur stammenden Sprachbilder, zu denen ich ganz spontan einen Zugang hatte. Geradezu beklemmend wurde es, als er die Gier zweier Helferinnen im Umfeld der Mutter beschrieb. Die eine bediente sich schamlos an Kleidungsstücken, sodaß nach dem Tod der Mutter davon nichts mehr auffindbar war. Bei der letzten Begegnung nach dem Tod der Mutter mit den Familienangehörigen scannt sie den Raum ab, was sie noch mitnehmen kann oder nicht. Er beschreibt die Ambivalenz zwischen Aggression und Abhängigkeit sowohl auf Seiten der kranken Mutter als auch der erwachsenen Kinder, und auch die Wehrlosigkeit, weil die Krankheit so viel emotional abverlangt, dass man nicht auch noch an dieser Front kämpfen kann.
Man erfährt Einiges über das Altern in Marokko, Rückblenden in die Jugendzeit des Verfassers, gemeinsamer Erlebnisse, und es ist an keiner Stelle kitschig oder sentimental