Mit Demenz im Allgemeinkrankenhaus

Screenshot: Fakt-Sendung vom 22.10.2013

Screenshot: Fakt-Sendung vom 22.10.2013

Demenz ein unterschätztes Problem in Krankenhäusern“ lautete der Titel eines ausgezeichneten Beitrags im Polit-Magazin FAKT vom 22. Oktober 2013. Das Video ist hier (7 Minuten), eine Zusammenfassung des Sendetextes hier nachzulesen.

Für mich gehören die Erfahrungen, die ich mit meiner Mutter in Allgemeinkrankenhäusern machen mußte, zu den schlimmsten. Allgemeinkrankenhäuser sind nicht auf dementiell veränderte Menschen eingerichtet. Man hat gar nicht die Zeit den Patienten das Essen anzureichen. Was nach einer bestimmten Zeit nicht gegessen ist, wird weggeräumt. Aber das sind noch eher die „milderen“ Situationen. Einmal habe ich meine Mutter mit einem Bauchgurt fixiert vorgefunden. Sie lag – ich sage es jetzt so drastisch wie es war – in ihrer eigenen Schei… Bauchgurt ist so ziemlich das Fieseste was es gibt. Man hat keinen Bewegungsspielraum mehr mit dem Unterkörper.

Da ich die gesetzliche Betreuung hatte, befragte ich das Krankenhauspersonal und wollte die richterliche Genehmigung sehen, die für solche Zwangsmaßnahmen vorgeschrieben ist. Eine solche lag nicht vor. Glücklicherweise hatte ich – es liegt schon ein paar Jahre zurück – ein Handy mit Fotofunktion. Seitdem habe ich grundsätzlich bei Krankenhausbesuchen eine Digitalkamera mitgenommen. Ich sagte dem Pflegepersonal, daß ich mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden bin, daß dieses Handeln illegal ist, da keine richterliche Genehmigung vorliegt. Ich hätte alles fotografisch dokumentiert und würde auch bei zukünftigen Besuchen eine Digitalkamera mit mir führen. Sollte es nochmal zu einem derartigen Vorfall kommen, dann würde ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde einleiten, eine Strafanzeige machen und die lokale Presse benachrichtigen.

Nach den meisten Krankenhausaufenthalten war meine Mutter immer mehr oder weniger lang durch den Wind. Eine positive Ausnahme gab es. Dort wußte ich, daß meine Mutter gut aufgehoben ist und deshalb soll es hier lobend erwähnt werden: Das Krankenhaus in Rüdersdorf (östlich von Berlin). Wie aber der „normale“ Krankenhausalltag für Demenzkranke aussehen kann – ohne das oben erwähnte extreme Beispiel von Fixierung – habe ich in zwei früheren Blogeinträgen im alten Alzheimerblog beschreiben: Indirekte Aggressionen und Entlassungsturbulenzen.

Das Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken hat eine Studie durchgeführt. Unter anderem wurden Pflegedienstleitungen danach befragt, wie hoch der Anteil von dementen Patienten bei ihnen sei. Er wurde auf sechs Prozent geschätzt. Aus epidemologischen Studien weiß man aber, daß dieser Anteil in der Realität um die zwanzig Prozent liegt.

Anscheinend bekommt dieses Thema jetzt vermehrt Beachtung in den Medien. In der ZEIT vom 13. Oktober 2013 wird von einem Krankenhaus in Schottland berichtet, das viele Fachleute aus dem Ausland besichtigen wegen seines modellhaften Umgangs mit Demenzkranken: Wo bin ich hier? ist der Artikel überschrieben. Aber auch in Deutschland gibt es bereits erste Ansätze. Die Westfälischen Nachrichten vom 1.3.2013 berichten über eine Praxiswerkstatt „Demenzpatienten im Krankenhaus: Zuwendung ist entscheidend.

Wer ganz viel Zeit, Interesse und Ausdauer hat, kann sich in die Arbeit die Versorgung demenzkranker älterer Menschen im Krankenhaus (pdf-Datei, 95 Seiten), die am Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld entstanden ist, vertiefen.

Das neue Wort, das ich heute gelernt habe im Zusammenhang mit diesem Blogeintrag: Demenzsensibles Krankenhaus

3 Gedanken zu „Mit Demenz im Allgemeinkrankenhaus

  1. Oh – wie gut, daß das Thema aufgenommen wird! Ich kann diese Erfahrungen im Krankenhaus mit meiner Mutter auch bestätigen. Ihr, die sich nicht mehr selbständig bewegen und sprechen kann, wurde Essen und Trinken einfach auf den Beistelltisch gestellt und später unangerührt wieder abgeräumt. Der Oberarzt wollte meiner Mutter eine Magensonde andrehen und erwiderte auf meine Weigerung laut Patientenverfügung nur „Was schicken sie uns sowas hierher. Sowas ist nicht therapierbar“. (Meine Mutter war dort wegen Krampfanfällen eingewiesen worden). Ich bemühte mich, in dem Gespräch ganz ruhig zu bleiben, und ordnete die sofortige Entlassung aus dem Krankenhaus an.
    Es gibt wohl auch Untersuchungen, daß demente Patienten vollkommen verwirrter und in schlimmeren Allgemeinzuständen das Krankenhaus wieder verlassen.
    Für mich ist jedenfalls klar, daß meine Mutter kein Krankenhaus mehr von innen sehen wird!

  2. Ja, in demenzsensiblen Krankenhäusern wird so gearbeitet, daß solchen Verwirrtheitszuständen vorgebeugt wird. In der Charite läuft derzeit ein solches Projekt. Dort werden ältere Patienten schon gezielt in der Notaufnahme in den Blick genommen im Hinblick auf Orientierungslosigkeit. Man versucht sie dann so schnell wie möglich auf die Station zu verlegen und benachrichtigt diese dann auch über die kognitive Störung.

  3. Hallo Noga,

    ich lese schon den ganzen Morgen in Deinem Blog kreuz und quer und finde so gut wie überall meine eigenen Erfahrungen wieder.
    Hier beim Thema Krankenhaus läuft es mir aber wirklich ganz kalt den Buckel runter. Vor fast genau einem Jahr wurde meine demenzkranke Mutter vom Hausarzt wegen starken Schmerzen im Bauch, oder auch in den Beinen (Mutti hat auch immer wieder vergessen, wo es denn weh getan hat), ins Krankenhaus eingeliefert.
    Innerhalb von zwei Tagen war sie soweit, dass sie gesagt hat: „Wenn ich wieder besser gehen kann, springe ich da vorne aus dem Fenster! Gib mir ein Messer, dass ich mir die Adern aufschneiden kann!“
    Sie war auf einen Schlag total depressiv und hatte jeden Lebensmut verloren.
    In meinem Beisein wurde sie vom Pfleger ausgelacht, weil sie vor Schmerzen aufschrie, obwohl er sie ja „noch gar nicht berührt “ hatte. In der Klinik hatte niemand bemerkt, dass sie leuchtend rote, geschwollene Zehen hatte – GICHT!
    Da muss erst ein Angehöriger beim Patienten nachfragen, was ihm denn jetzt solche Schmerzen bereitet hat, dass ein Arzt auf die Idee kommt, mal die Harnsäure anzuschauen.
    Damals wollte ich mich unbedingt an das „Beschwerdemanagement“ der Klinik oder der Stadt München wenden, aber ich hatte alle Hände voll zu tun, meine Mutter wieder halbwegs auf die Beine zu stellen und mir fehlte schlichtweg die Kraft dazu.
    Auch ich habe einen Blog für unsere Erlebnisse mit der Krankheit ins Leben gerufen. Vielleicht magst Du mich da ja mal besuchen.
    Ich werde sicher Dauergast bei Dir und danke Dir für Deine Zeilen.

    Ach ja, übrigens: Ich habe mich für den Workshop mit Naomi Feil Ende März angemeldet und bin schon ganz gespannt darauf.
    Ich finde Deine Hinweise auf Fernsehsendungen und Veranstaltungen ganz toll.

    So! Das wars erst mal.
    Einen schönen Frühlingstag und liebe Grüße
    Gabi

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