In Weimar hat heute Arno Geiger den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung erhalten. In der Würdigung heißt es:
Geigers Werke, besonders Es geht uns gut, Anna nicht vergessen, Alles über Sally, Der alte König in seinem Exil, sind – so die Begründung der Jury – Zeitromane von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz. In ihren Themen kann sich unsere Gesellschaft in der technisch-globalen Moderne erkennen: Es geht um die Freiheit des Willens, um Menschenwürde, um Sprache und Persönlichkeit, um den Umgang mit Krankheit und Altern, um interkulturelle Erfahrungen.
Zugleich zeugen diese Werke von einer Ethik der familialen und sozialen Verantwortung, die sich bewährt, wenn der Charakter stärker wird als die Intelligenz, das Verstehen wichtiger wird als das Wissen. So schreibt Geiger mutige Charakterbücher, die den Leser nach dem Sinn des eigenen Lebens und Alterns fragen lassen.
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Zu seinem Buch „der alte König in seinem Exil“, in dem es um die Demenzerkrankung seines Vaters geht, heißt es:
Das Buch ist vieles zugleich: Autobiographie, Familiengeschichte, Vatererzählung, Dorfchronik und vor allem stark familiär gefärbte Krankheitsgeschichte der Alzheimer-Demenz. Es geht um Geigers 1926 geborenen Vater, bei dem sich 1995 erste Anzeichen der Krankheit zeigten. Als der Vater vorübergehend in ein Pflegeheim musste, begann der Sohn mit dem Schreiben über den Vater und der Aufarbeitung von dessen Lebensgeschichte.
Geigers Buch behandelt das Thema Altern und Demenz auf eine neuartige Weise: nicht diagnostisch wie Jonathan Franzen (Das Gehirn meines Vaters, Die Korrekturen, 2002), nicht als Abrechnung wie Tilman Jens (Demenz: Abschied von meinem Vater, 2009), nicht in der Verpackung einer Fiktion (wie in Martin Suters Roman Small World, 1997), sondern mit Empathie, in einer demütigen Haltung gegenüber der Krankheit, die das Familienleben grundlegend verändert.
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Die Thüringer Allgemeine hat aus diesem Anlaß ein Interview mit dem Preisträger geführt, in dem es u.a. heißt:
Kann man in der Demenz einen Sinn erkennen?
Einen Sinn sicher nicht. Aber die Krankheit macht gewisse Dinge anschaulich. Bei mir hat die Konfrontation mit dieser schrecklichen Krankheit und dem damit verbundenen schleichenden Verlust Denk- und Erkenntnisprozesse ausgelöst. Das macht es natürlich nicht weniger schlimmer und rechtfertigt auch nichts. Aber ich sehe in der Zerbrechlichkeit meines Vaters jetzt auch meine eigene Zerbrechlichkeit. Ich beschäftige mich stärker damit, was der Mensch eigentlich ist. Eine Frage, die man sich möglicherweise da und dort einfach auch zu selten stellt.
Wie lautet die Antwort – was ist der Mensch und was macht ihn aus?Der Mensch ist unvollkommen und schwach, eigentlich schon von Geburt an und das bleibt so ein Leben lang. Trotzdem ist in dieser Unvollkommenheit etwas Ganzes, das bleibt, bis zum Schluss. Als 30-Jähriger mag ich das Gefühl haben, dass mir nichts passieren kann, ich bin gesund, ich bin intelligent, ich bin stark, mir steht die Welt offen. Aber dann kommt so eine Krankheit wie die meines Vaters, und ich bin überfordert und ich bin völlig hilflos und ich bin schwach. Das ist das, was ich in meinem Vater Tag für Tag sehe. Die Person ist da. Wie er sich bewegt, wie er reagiert, das ist ganz mein Vater. Jeder bleibt eine eigenständige Persönlichkeit, begrenzt von Schmerz, Leid in unterschiedlichsten Ausformungen. Aber der ganze Mensch geht nicht verloren in diesem Schmerz und in diesem Leid, so traurig die Situation dann auch ist.
Unbedingt Lesen!!!
Vielen Dank für diesen Tipp!!!! Die Interview-Antworten entsprechen so sehr auch meiner Erfahrung, vor allem „Jeder bleibt eine eigenständige Persönlichkeit….“! Das Buch werde ich mir kaufen.
Der Literaturpreis ist sehr verdient. Gerade hatte ich (am 06. September 2011) meine kleine Rezension des Buches „Der alte König im Exil“ zum Blogeintrag „Bücher über demenzkranke Väter“ geschrieben.
Ich werde mich nun gelegentlich auch mal einem der anderen Bücher von Arno Geiger widmen.