Religion und Spiritualität im Altenheim

Der Altenheimblogger hat ein Posting über seinen neuen Praktikanten verfaßt, der Atheist ist. Der 17jährige Praktikant sollte einer schreienden Frau, die sich dadurch beruhigt, einen Rosenkranz geben und weigerte sich mit Hinweis auf seine atheistische Einstellung.

Wer beim Altenheimblogger regelmäßig liest, was ich unbedingt empfehle (siehe Blogroll), weiß, daß es sich um ein katholisches Altenheim handelt. Von daher muß auch ein atheistischer Praktikant damit rechnen, daß das Thema Religion in unterschiedlicher Ausprägung auf ihn zukommen wird. Er kann erwarten, daß seine Weltanschauung respektiert wird und er nicht mit unerwünschten Missionierungsversuchen attackiert wird. Andererseits kann von ihm erwartet werden, daß er mit den religiösen und spirituellen Bedürfnissen der Bewohner respektvoll umgeht.

Ich habe in den letzten Jahren ganz unterschiedliche Erfahrungen mit diesem Thema gemacht. Als ich einen Heimplatz für meine Mutter suchte, habe ich ein evangelisches Heim, das von Diakonissen geführt wurde, angeschaut, das mir ganz gut gefallen hat. Neben einem breiten Angebot an medizinischen, pflegerischen, kulturellen und sozialen Angebot, gab es auch gottesdienstliche Veranstaltungen und Seelsorge, also Einzelgespräche mit dem Heimpfarrer oder Schwestern auf Wunsch. Für meine Mutter war in ihrem Erwachsenenleben Religion kein Thema, von daher war mir dieser Bereich bei der Suche eines Heimplatzes nicht wichtig. Aus unterschiedlichen Gründen fiel dieses Heim dann doch aus meiner engeren Auswahl. Einige Monate später lernte ich einen Altenpfleger kennen, der in diesem Haus gelernt hatte. Er erzählte mir, daß der Sonntagsgottesdienst in alle Räume übertragen wurde. Ich fragte nach, ob er tatsächliche meinte, was ich verstand: In jedem Zimmer und in allen Gemeinschaftsräumen war Gottesdienst angesagt, und man mußte sich das anhören, ob man wollte oder nicht. Er bestätigte das mit den Worten: „Das Klo war der einzige Ort, wo man sich entziehen konnte. Sogar auf den Fluren hat man es gehört“. Eine solche religiöse Vereinnahmung finde ich völlig daneben. Schön, wenn es so ein Angebot gibt für alle, die sich dafür interessieren, aber Gottesdienst als Zwangsveranstaltung darf nicht sein.

In guten Heimen wird erhoben, was für den Bewohner von Bedeutung ist, wie er seinen Tag gestaltet, welchen Beruf er hatte, welche Freizeitaktivitäten und Interessen er pflegt, wie seine Essensgewohnheiten sind, aber auch, ob Religion für ihn wichtig ist und wie seine spirituellen Bedürfnisse sind. Und so wie ich von Mitarbeitenden erwarte, daß sie die Bewegungsfähigkeit fördern, auf Essenswünsche eingehen und pflegerisch kompetent arbeiten, so finde ich es wichtig, daß auch auf spirituelle Bedürfnisse eingegangen wird.

Im ersten Heim, in dem meine Mutter lebte, hatte sie einen Mitbewohner, der in der evangelischen Kirche jahrzehntelang sehr engagiert gewesen war. Auch die meisten anderen Bewohner der Wohngruppe waren evangelisch. Abends gab es nach dem Essen ein Abschlußritual für die Bewohner mit Abendlied und Vaterunser, das ich hier beschrieben habe. Für mein Empfinden war das für die Bewohner dieser Gruppe und die Mitarbeitenden stimmig. Zur Wohngruppe, in der meine Mutter jetzt lebt, würde das nicht passen, denn dort leben vorwiegend Leute aus der ehemaligen DDR, für die Religion oft nicht wichtig ist.

Im alten Weblog habe ich auch einige Gedankensplitter und Erlebnisse rund um das Thema Religion und Spiritualität beschrieben. In dem Haus, in dem meine Mutter jetzt lebt, wird von einem freien Träger geführt. Es gibt unterschiedliche spitituelle Angebote: Feste werden gefeiert, einmal monatlich gibt es in der Kirche einen Gottesdienst für Demenzkranke, der Pfarrer besucht die Bewohner, die das wünschen. Es gibt noch ein spezielles Besuchsprogramm, weil das Heim Praktikumsort für Studierende der evangelischen Fachhochschule ist, die sich mit dem Themenbereich „Seelsorge an Demenzkranken“ spezieller beschäftigen wollen.

Gottesdienst, Demenz, Alzheimer

Astscheibe

Das Konzept für die Gottesdienste hat der Pfarrer mit dem Sozialarbeiter des Heimes und der Heilpädagogin erarbeitet. Ganz wichtig ist, daß er in der Kirche stattfindet und im Normalfall nicht in einem Gemeinschaftsraum, denn das sinnliche Erleben und die Anknüpfung an frühere Erinnerungen sind ganz wichtig: Die Wahrnehmung des Kirchenraums, das Licht, der Geruch, die Gesamtatmosphäre, die Orgelklänge – all das ist ganz wichtig für dementiell veränderte Menschen. Das Gesamtthema eines jeden Gottesdienstes nimmt ein Lebensthema auf, wie zum Beispiel: Vom Aufgang der Sonne … oder wie ein Baum gepflanzt am Wasser ….

Bibel, Demenz, Alzheimer, Gottesdienst, Seelsorge, Gespräch, Gruppenarbeit, Arbeitshilfe

Getröstet und geborgen

Auch eine Bibel für dementiell veränderte Menschen gibt es inzwischen. Für Angehörige und Mitarbeiterinnen in Pflegeheimen gibt es dazu noch eine Arbeitshilfe mit vielen wertvollen Hinweisen. Im Bereich der theologischen Forschung ist Demenz zunehmend ein Thema. Das alles finde ich sehr ermutigend. Was aber jeweils im Heimalltag praktiziert wird, hängt von der Sensibilität und der Bereitschaft der Mitarbeitenden ab, auf diesen Lebensbereich einzugehen auch wenn es für sie in ihrem persönlichen Leben keine oder wenig Bedeutung hat. Eine einfühlsame Mitarbeiterin hat für meine Mutter in der örtlichen Bibliothek ein evangelisches Gesangbuch organisiert. Im Moment ist in diesem Bereich sehr viel im Fluß.

Zum Weiterlesen: Spiritualität – ein Thema für die Pflege von Menschen mit Demenz (eine Arbeitshilfe vom Demenz-Support Stuttgart, 68 Seiten, unterstützt vom Bundesministerium für Jugend, Frauen, Familie und Senioren)

7 Gedanken zu „Religion und Spiritualität im Altenheim

  1. Oh mey, der junge Mann muss aber noch viel lernen für den Umgang mit Menschen – nicht nur mit kranken, auch mit sogenannten gesunden…
    Da ist der „Titel“ Atheist doch völlig unbedeutend.
    Christliche Pfleger müssen ja auch mit atheistischen Patienten umgehen, und das geht normal doch sehr gut.

  2. Unsere Zimmer haben an der Wand festinstallierte Radios, klein, aber gut.
    Dort KANN der Gottesdienst auch mitgehört werden, aber nur auf Wunsch des Bewohners.
    Auch der ev.Gottesdienst wird einmal im Monat gefeiert so wie ein Gottesdienst speziell für die italienischen Mitbürger der Gemeinde.Halt in italienischer Sprache.Auch ist es nicht zwingend erforderlich ein Katholik zu sein in einer katholischen Einrichtung, es sollten aber die Grundsätze der Glaubenslehre eingehalten werden.Da ich schon ewig in dem Heim bin habe ich auch einen alten Vertrag,“Wilde Ehe“ ist da noch ein Abmahngrund,das haben die neuen Verträge aber nicht mehr. ;))

  3. Mir ist beim Lesen dieses Beitrags wieder einmal mehr deutlich geworden, welch wichtige und sensible Aufgabe unsere Mitarbeiter in den Alten- und Pflegeheimen haben, nicht nur bei Dementen, doch bei denen noch einmal besonders. Es erschüttert mich, wie gedankenlos in einigen Einrichtungen alle christlich oder auch anders „berieselt“ werden.

  4. Pingback: Stralau-Blog — Schöner sterben am Wasser » Blog Archive » Links von Montag, 20. September 2010

  5. It is extremely interesting for me to read this blog. Thanks for it. I like such themes and everything connected to them. I would like to read more on that blog soon.

    Avril Hakkinen

  6. Hallo Bloggemeinde,
    Ich finde es auch unheimlich wichtig, dass die Pfleger in den Heimen auch auf die spirituellen Bedürfnisse der Bewohner eingeht. Wenigstens die „großen“ Religionen (je nach Stadt/Region) sollten berücksichtigt werden.

    Ich habe für meine an Alzheimer erkrankte Oma im Sommer ein Heimplatz gesucht. Nach mehreren „Blindversuchen“ in der Umgebung, haben wir uns dann professionelle Hilfe bei der Suche nach einem geeigneten Heimplatz gesucht.

    Meine Oma ist katholisch, wohnt aber in Mecklenburg Vorpommern. Daher war es sehr schwierig, ein Pflegeheim zu finden, welches katholische Gottesdienste anbietet. Haben dann über eine Telefonhotline ein Altersheim vermittelt bekommen.

    Die suche nach der richtigen Einrichtung ist so schon schwierig genug, aber wenn man die Religion mitberücksichtigen muss, wird es noch um einiges schwieriger.

    LG
    Manuela

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