Die Scham ist zu groß: Demenzkranke auf dem Land

Was passiert, wenn ein engagierter evangelischer Pfarrer in der Provinz – konkret in Ostthüringen – pflegende Angehörige unterstützen will und ein Nachbsrschaftsnetzwerk initiiert? Die Scham ist so groß, daß die ausgebildeten Ehrenamtlichen nicht in betroffenen Familien zum Einsatz kommen und stattdessen Besuche im örtlichen Pflegeheim machen, was ja auch nicht schlecht ist.:

Der ehemalige Bürgermeister in Windeln, dieses Bild mochten die Angehörigen nicht einmal ihrem Pfarrer offenbaren. Und so verrammelten sie flugs seine Zimmertür im Obergeschoss des geräumigen Gehöfts, in der Hoffnung, der alte Herr, verwirrt und verwahrlost, möge zumindest nicht randalieren, solange der evangelische Superintendent Ralf-Peter Fuchs in der Stube im Erdgeschoss zu Besuch war.

Um die Demenz ihrer Mutter zu verbergen, schnallte im Nachbardorf eine Frau die 90-jährige Dame ans Bett, wenn der Geistliche zum Hausbesuch kam. Die Mutter, entschuldigte sie sich, erkenne nicht einmal mehr die eigene Familie, sie leide unter Angstzuständen, sie schlage um sich. Sie laufe weg. Die Tochter weinte…

Mehr dazu im taz-Artikel „Der Herr Doktor ist jedesmal entzückt„.

Pfarrerin gesucht und gefunden

Während ihres Erwachsenenlebens hatte Mama es mit Religion und Kirche nicht so. Evangelisches Kirchenmitglied ist sie geworden, weil mein Stiefvater Druck ausgeübt hat (man muß doch eine gemeinsame Religion haben!) und auch nach der Scheidung geblieben. Ich erinnere mich an den Hausbesuch des evangelischen Pfarrers, der mit dem Kirchenbuch kam, in dem sie sich eintrug. Ansonsten freundliches Gespräch beim Kaffeetrinken. Mama bekam eine Urkunde, daß sie nach entsprechender Unterweisung in die evangelische Kirche aufgenommen worden sei. Als ich diese Urkunde unter ihren Dokumenten fand, hat mich das sehr erheitert. Eine evangelische Kirche hat sie – vor ihrem Heimaufenthalt – nur einmal anläßlich einer Konfirmation von innen gesehen.

Sie hat immer wieder betont, daß sie die Kirchensteuer all die Jahre bezahlt, damit „ich eine anständige Beerdigung mit einem Pfarrer bekomme und nicht würdelos verscharrt werde“. Daß sie auf ihre alten Tage dann doch immer mehr mit Religion anfangen konnte und keinen Gottesdienst ausgelassen hat, war nicht abzusehen. Der evangelische Pfarrer hat sie regelmässig zum Geburtstag besucht und auch in gesundheitlichen Krisen. Das Verhältnis zum Pfarrer gestaltete sich derart positiv, daß Pfarrer und Therapiehund an der Spitze der Top Ten des Heimlebens waren, wenn auch immer mal in wechselnder Reihenfolge. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn dieser Pfarrer nun auch die Beerdigung halten würde, aber der ist leider zu weit weg von dem Friedhof, auf dem sie bestattet wird – nämlich in meinem Wohnviertel. Nun habe ich eine Pfarrerin gefunden, die ich vor ein paar Jahren kennenglernt habe. Ich bin sicher, sie würde Mama gefallen, obwohl es an Mama vorbeigegangen ist, daß es Frauen im Pfarramt gibt. Als der Herr Pfarrer aus Krankheitsgründen nämlich mal von einer Kollegin vertreten wurde, wunderte sich Mama sehr, warum „heute in der evangelischen Kirche eine katholische Schwester Gottesdienst gehalten hat“. Gefallen scheint es ihr trotzdem zu haben, denn zwei Stunden später schwärmte sie, daß der Herr Pfarrer das heute wieder ganz toll gemacht hat. Mama wollte immer eine Feuerbestattung. Erst jetzt merke ich, daß ich das emotional schwierig finde und alle Beerdigungen, die ich bis jetzt erlebt habe, Erdbestattungen waren.

Bilderbücher zum Thema Demenz

Die Redaktion der Zeitschrift Eltern hat einige Bilderbücher zum Thema Alzheimer zusammengestellt und zwar hier. Besonders hinweisen möchte ich auf das Buch „Meine Oma Gisela – ein Buch über den Umgang mit Alzheimer-Kranken“. Ich habe es im alten Alzheimerweblog hier bereits rezensiert. Es enthält auch Gesprächsanregungen und kann kostenlos bei der Alzheimer Forschung Initiative bestellt werden. Es ist nicht über den Buchhandel erhältlich.