Schwul und dement – wohin?

Ein Freund, Anfang 70 ist schwul und dement. Er braucht einen Platz in einem Pflegeheim. Natürlich gelten für die Suche nach einem guten Heim die Kriterien, die ich bereits im Blogpost “ Wie finde ich ein gutes Pflegeheim?“ beschrieben habe. Dazu kommt noch der Anspruch, einen Ort zu finden, an dem er sich als homosexueller Mann wohlfühlt und weder von Mitarbeitenden noch von Mitbewohnern diskriminiert wird.

Ein Freund schlug mir vor, beim Lebensort Vielfalt der Schwulenberatung in Berlin das Frühstück am Mittwochmorgen zu besuchen und dort mit einem Sozialarbeiter meine Fragen zu besprechen. Das klappte ganz unerwartet sofort auf Anhieb. Mein Anliegen wurde sofort verstanden. Die Schwulenberatung hat in Berlin bereits eine breite Infrastruktur aufgebaut. Es gäbe sogar eine Demenz-WG, aber derzeit sind alle Plätze besetzt.

Der Sozialarbeiter bot an, im Büro nachzufragen, welche anderen Pflegeheime oder Demenz-WGs als LGBT-freundlich zertifiziert sind. Ich war erstaunt, zu hören, daß es eine solche Zertifizierung überhaupt gibt. Und für Berlin mit den vielen Menschen, die zur LGBT-Community gehören ist das eine Superidee.

Der Sozialarbeiter ging also ins Büro und kam zurück mit einer einzigen Adresse außerhalb der LGBT-Infrastruktur. Ich war verblüfft, denn ich hatte mehr erwartet. Noch verblüffter war ich, als ich erfaßte, daß das genannte Heim unter der Trägerschaft der Immanual-Diakonie arbeitet, denn das ist der Dachverband der evangelisch-freikirchlichen Gemeinden, im Volksmund eher als „Baptisten“ bekannt.

Das Logo auf der Internetseite sieht folgendermaßen aus:

und drunter steht: Wir leben Vielfalt

Die Website ist hier  zu finden.

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„Woche für das Leben“ über „Leben mit Demenz“

Die beiden großen Kirchen haben am Samstag den 30. April 2022 in Leipzig die ökumenische „Woche für das Leben“ eröffnet. Dabei steht in diesem Jahr bis zum 7. Mai die Sorge um demente Menschen und ihre Angehörigen im Mittelpunkt.

Mehr dazu  hier

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Montagsfrage: Warum bloggst Du und wie hat das bei Dir angefangen?

Herr Joel aus Luxemburg stellt uns jeden Montag eine Frage. Wie hat das angefangen mit dem Bloggen bei mir. Meine Mutter war an vaskulärer Demenz erkrankt, wurde in die Gerontopsychiatrie eingeliefert, weil sie auf ihrem Balkon stehend um Hilfe rief. Ich – mehrere hundert Kilometer entfernt, wurde verständigt und mußte innerhalb kürzester Zeit für sie einen Heimplatz finden, weil klar war, daß sie nicht mehr allein leben kann und ich wegen meiner beruflichen Situation (viel Reisetätigkeit) und auch meiner Wohnsituation (Altbau ohne Aufzug) sie nicht pflegen können würde.

Ich habe dann im Juni 2005 auf der myblog-Plattform unter dem Titel Alzheimer und dann? mit dem Bloggen begonnen. Damals gab es kaum Infos über die verschiedenen Demenz-Formen im Netz. So war mein Blog eine Kombination aus persönlichen Erlebnissen mit meiner Mutter und auch vielen Infos rund um Demenz.

In meinem ersten Beitrag habe ich erzählt, wie ich sie aus der Gerontopsychiatrie abgeholt habe und mit meiner Freundin und meinem Lebensgefährten nach Berlin gebracht habe. Ich habe mehrmals wöchentlich, zeitweise täglich gebloggt. Es war für mich eine Form des Sortierens und Verarbeitens. Ich wollte andere in ähnlicher Situation und auch meine Freunde und Bekannten und Mamas ehemalige Arbeitskollegen teilhaben lassen. Mir war es ab einem bestimmten Punkt auch zuviel, immer wieder die Frage „wie geht es deiner Mutter“ zu beantworten.

Ich habe aus dem Alltag meiner Mutter erzählt, wie man ein gutes Heim findet (Kriterien für „gut“), über die Auseinandersetzungen mit der Krankenkasse, die Unerfreulichkeiten im ersten Heim, Suche nach einem neuen Heim und wie gut es dort lief, die Freundschaft meiner Mutter mit Herrn Flieger, die Besuche von Therapiehund Largo, welche Bedeutung Spiritualität für meine Mutter, die ihr Erwachsenenleben mit Religion nichts am Hut hat, bekommen hat. Viele Fragen, die mich bewegt haben, sind in diesem Blog behandelt worden. Ich habe Bücher und Filme zum Thema Alzheimer besprochen, künstlerische Arbeiten von MitbewohnerINNEn meiner Mutter fotografiert und im Blog gezeigt.

Im Sommer 2010 gab es immer wieder und immer mehr technische Schwierigkeiten. Manchmal waren meine Beiträge tagelang verschwunden. Immer wieder gab es hunderte von Spam-Kommentaren. Deshalb bin ich im August 2010 auf die wordpress-Plattform umgezogen und habe unter Alzheimerblog weiter geschrieben. Im Begrüßungsartikel habe ich zusammengefaßt, warum ich weiterhin blogge:

Ich habe in der letzten Zeit festgestellt, daß mich das Interesse, wie es mir geht, sehr berührt hat. Manchmal war ich aber auch überfordert, wenn ich Erlebnisse wiederholt erzählt habe. Zuweilen habe ich mich auch gefragt, ob ich andere mit meinen Erzählungen überfordere.

Bei einem Weblog kann sich jede/r aussuchen, wann, was und wieviel er liest.

So hoffe ich, daß das Schreiben hier eine Entlastung für mich ist. Zugleich hoffe ich, daß die Situation der von Alzheimer betroffenen Angehörigen nachvollziehbarer wird. Dabei ist mir klar, daß ich nicht repräsentativ bin, denn meine Mutter ist in einem Heim. Die meisten Alzheimer-Kranken werden zuhause von ihren Angehörigen jahrelang gepflegt.

Es ist ein langsamer und sehr belastender Abschied. Und dennoch hat es in dieser kurzen Zeit immer wieder Momente gegeben, in denen eine für mich neue Begegnung mit meiner Mutter möglich war.

Ich freue mich über Kommentare und Fragen, behalte mir jedoch vor, alles was beleidigend oder diskriminierend ist, zu löschen.

Bis zum Tod meiner Mutter im März 2011 habe ich weiterhin wöchentlich gebloggt. Danach wurden meine Beiträge seltener. Dennoch wurde ich 2014 für den Grimme-online-Award in der Kategorie „Information und Bildung“ nominiert. Ich war eingeladen zur Gala in Köln. In einer anderen Kategorie war noch ein zweites Alzheimer-Blog nominiert. Inzwischen war Demenz immer mehr als Thema in die Öffentlichkeit gekommen.

Das Alzheimer-Blog wird immer noch besucht. Inzwischen sind im Netz vielfältige Infos zu diesem Themenbereich verfügbar. In den ersten Jahren meines Bloggens war ich in den Suchmaschinen unter den ersten zehn Treffern. Vor mir waren professionelle Seiten wie die der Alzheimer-Angehörigen-Initiative oder der Deutschen Alzheimergesellschaft oder ähnliches.

Inzwischen schreibe ich nur noch sehr selten, wenn mir ein interessanter Film oder ein interessantes Buch auffällt. Vor vier Wochen ist ein Nachbar, der an Demenz erkrankt ist, in ein Heim gekommen. Auf seinen Wunsch war ich dabei, als der MDK (medizinischer Dienst der Krankenkassen) anrief, um seine Pflegestufe, die inzwischen zum Pflegegrad wurde, herauszufinden. Darüber werde ich demnächst einen Beitrag verfassen. Inzwischen sind andere Themen für mich wichtiger geworden.

Im Februar 2006 habe ich mit einem zweiten Blog begonnen, der bis ins Jahr 2013 lief. Es war wie das Alzheimerblog ein Nischenblog und diente auch dazu, Menschen, die Interesse an diesem speziellen Thema hatten, zu informieren. Ich gehöre einer Minderheit an und habe über Erlebnisse und Fragen, die damit zusammenhingen, gebloggt.

Ich habe in der Folgezeit noch drei Nischenblogs begonnen – eines davon zu einem beruflichen Thema, die beiden anderen zu sozialen Themen. Sie werden gut besucht, stoßen jedoch nicht auf eine vergleichbare Resonanz wie das Alzheimerblog in seinen Hoch-Zeiten.

Der erste Beitrag vom 16. Juni 2011, der bei myblog verschwunden war und blieb ist hier nochmal zu finden und macht die emotionale Achterbahn, in der ich die folgenden Jahre unterwegs war, deutlich.

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Die Ballerina, der die Identität geklaut wurde

In den sozialen Medien ging in den letzten Wochen ein Video herum von einer M.arta G.onzales, die in den 60ern als Primaballerina auf der Bühne gestanden sein soll, später an Demenz erkrankte. Doch als sie die Musik zu „Schwanensee“ hörte, sei die Erinnerung zurückgekommen und sie in ihr früheres Leben zurückversetzt worden. Das Video der an Alzheimer erkrankten Tänzerin ist eine Werbung für eine Wohltätigkeits-organisation. Ich habe dieses Video, das sehr gelobt wurde, nicht angesehen, denn auf mich wirkte es übergriffig. Es war für mich nicht erkennbar, ob die Tanzende zugestimmt hat, so gezeigt zu werden. Frau Brüllen hat es in ihrem Blogbeitrag „Spielverderberin“ hervorragend auf den Punkt gebracht (dicke Leseempfehlung!).

Ich kann mich noch gut erinnern, wie eine Studierendengruppe von „Filmstudenten“ ihren Abschlußfilm über das Erleben von Demenzkranken im Heim von meiner Mutter drehen wollte (mehr dazu auf meinem alten Blog hier). Für eine ganze Reihe von Bewohnerinnen und Bewohnern war das eine besondere Erfahrung, weil sie monatelang von drei Studierenden besucht und begleitet wurden bevor die Dreharbeiten stattfanden. Intensive Kontakte sind dabei entstanden. Sowohl die BewohnerINNEN als auch Angehörigen mußten ihr Einverständnis deutlich machen. Da die betroffenen Demenzkranken alle unter gesetzlicher Betreuung standen, mußten die BetreuerINNEN ihr Einverständnis schriftlich erklären. Ich habe das Engagement des Pflegeheims sehr bewundert, denn es war mit sehr viel zusätzlichem Aufwand verbunden, den Heim-bewohnerINNEn und den Studierenden diese Erfahrung zu ermöglichen und gleichzeitig diejenigen „abzuschotten“, die an diesem Projekt nicht teilhaben wollten. Zu einem sehr späten Zeitpunkt hat dann ein Angehöriger sein Einverständnis zurückgezogen. Nicht wenige Szenen mußten herausgeschnitten werden.

Wiebke Hüster von der Frankfurter Rundschau ist in ihrem Artikel „Mit den Muskeln hören“ der Geschichte nachgegangen, benennt eine Reihe von Unstimmigkeiten und kommt zu folgendem Schluß:

„Und die Schwarzweißaufnahmen einer auf Spitze tanzenden Ballerina, die zwischen die Aufnahmen der Musik hörenden und mit Fingern und Blicken tanzenden alten Frau geschnitten sind, zeigen nicht sie, sondern Ulyana Lopatkina, eine wirkliche Primaballerina des St. Petersburger Mariinsky-Balletts. Sie tanzt auch keinen Auszug aus „Schwanensee“, sondern aus dem „Sterbenden Schwan“ nach dem „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saëns.“

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Religion, Spiritualität, Weltanschauung bei Demenz

In den letzten Tagen – also in Zeiten von Corona – kamen auffällig Suchanfragen zum Thema Religion, Weltanschauung, Spiritualität oder „religiöse Unterstützung bei Alzheimer“. Die Blogbeiträge, die ich dazu verfaßt habe, sind hier zu finden.

„Getröstet und geborgen“ heißt eine Bibelausgabe für Demenzkranke. Die Rezension dazu ist hier.

Einen Gottesdienst für Demenzkranke wie er für die BewohnerINNEN des Pflegeheims, in dem meine Mutter gelebt hat, stattfand zum Thema „vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ beschreibe ich   hier

 

Gewonnen …

Das „Alzheimer und wir„- Blog hat es geschafft. Nominiert als „Themenblog“ hat es den „goldenen Blogger 2019“ gewonnen. Herzlichen Glückwunsch. Für das Thema Alzheimer und Demenz in der Öffentlichkeit ist das sehr wichtig.

Die Preisvergabe zeigt auch, daß sich im öffentlichen Bewußtsein etwas verändert hat. Inzwischen bekommen auch Blogs Preise, in denen die Grenzen des Lebens im Mittelpunkt stehen.

 

Alzheimer und wir …

… ist als „Nischenblog“  für den „goldenen Blogger“-Preis nominiert, der Anfang März vergeben wird.

Peggy ist Mutter von drei Kindern und lebt weit weg von ihrer Mutter, die vor acht Jahren im Alter von 55 Jahren an Alzheimer erkrankt ist. Sie versucht ihren Vater so gut wie möglich aus der Ferne zu unterstützen und erzählt, welche Fragen sie in ihrem Alltag beschäftigen, wie sie versucht, den Spagat zwischen ihrer eigenen Familie und der Situation der Eltern zu leben. Das Blog ist  hier zu finden.

 

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Umzug von Heim zu Heim

Rasante Beschleunigung von Alzheimer beim Umzug ins Heim hatte ich einen Beitrag überschrieben. Ich habe dort der Verallgemeinerung widersprochen, die in dieser Behauptung zum Ausdruck kommt.

Ein Kommentator des Beitrags fragt:

Kann ein Umzug einer dementen Person von einem Heim in ein anderes schaden, ist es gut oder ist es egal, weil die Person das sowieso nicht merkt ?

Das ist noch einmal eine andere Situation. Da meine Mutter von einem Heim in ein anderes Heim umzog, habe ich damit ganz konkrete Erfahrungen gemacht.

Für Menschen, die mit einer dementiellen Veränderung leben, ist ein gewohnter Rhythmus sehr hilfreich. Es muß aus meiner Sicht schon sehr schwer wiegende Gründe für einen Umzug in ein anderes Heim geben. Meine Mutter hat deutlich machen können, daß sie nicht in diesem Heim bleiben will und konnte auch sagen, was im anderen Heim anders sein soll.

Sie wollte ein Zimmer für sich allein statt eines Zweibettzimmers. Das Bad wollte sie für sich haben und nicht mit anderen Menschen teilen. Sie wollte viel Kontakt mit Tieren haben. Das alles war im zweiten Heim gegeben. Alle zwei Wochen gab es einen Ausflug zum Tierbauernhof, wo Mama eine Lieblingsziege hatte ( Wenn die Ziege Husten hat). Außerdem gab es drei Therapiehunde-Teams. So bekam meine Mutter wöchentlich Besuch von einem Therapiehund ( Wenn der Therapiehund kommt …). Außerdem wurden im Heim Katzen, Vögel und Kaninchen gehalten. Für meine Mutter war der Umzug ins neue Heim eine Erfolgsgeschichte. Das war aber nur möglich, weil eine entsprechende Vorbereitung durch das neue Heim gegeben war und die Eingewöhnungsphase sehr gut gestaltet war. Die Einzelheiten dazu kann man  hier nachlesen.

Daß eine demente Person nichts vom Umzug in eine neue Umgebung bemerkt, kann ich mir – selbst im letzten Stadium einer dementiellen Veränderung – nicht vorstellen.

 

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